Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. Sebastian Krülls
Rz. 86
Zunächst besteht ein Vorteil bei der Implementierung eines Gemeinschaftsbetrieb darin, dass die unerwünschten Folgen des AÜG vermieden werden. Dabei handelt es sich auch nicht um eine Form der Gesetzesumgehung, weil sich Arbeitnehmerüberlassung und Gemeinschaftsbetrieb schlicht bereits tatbestandlich ausschließen.
Rz. 87
Unternehmen können auf diese Weisenach hier vertretener Auffassung etwa auch über Personalführungsgesellschaften trägerübergreifend Personal im Gemeinschaftsbetrieb einsetzen, ohne den Gleichstellungsgrundsatz nach § 8 Abs. 1 AÜG, die gesetzliche Höchstüberlassungsdauer oder die leiharbeitsrechtliche Erlaubnispflicht auszulösen. Somit scheint etwa ein durch ausdrückliche Führungsvereinbarung entstehender gewillkürter Gemeinschaftstrieb mittels einer personalstellenden Personalführungsgesellschaft tatsächlich auf den ersten Blick eine flexible und kostengünstige Möglichkeit unternehmensübergreifender Kooperation zu sein.
Rz. 88
Die Anerkennung der Rechtsfigur des Gemeinschaftsbetriebs geht traditionell allerdings auch mit einer Reihe von Vorzügen für den Arbeitnehmer einher. So knüpfen zahlreiche arbeitsrechtliche (Schutz-)Vorschriften an den Gemeinschaftsbetrieb als eine betriebliche Organisationseinheit an. Daher ist es verfehlt, davon auszugehen, der Gemeinschaftsbetrieb stelle in der Praxis stets eine z.B. gegenüber der Arbeitnehmerüberlassung vorzugswürdige Alternative dar. Im Gegenteil geht es vorrangig darum, die Rechtsfolgen aller in Betracht kommender Formen der Zusammenarbeit gerade im Hinblick auf ihre betriebswirtschaftlichen Auswirkungen im jeweiligen Einzelfall sorgfältig zu analysieren:
Zunächst ist der Gemeinschaftsbetrieb ein echter Betrieb i.S.d. § 1 BetrVG. Bereits die Gründung eines Gemeinschaftsbetriebs kann je nach Gestaltung einen betriebsändernden – und damit interessens- und sozialplanpflichtigen – Vorgang nach § 111 S. 3 BetrVG darstellen. Werden durch die Entstehung des gemeinsamen Betriebs mehrere Betriebe zugunsten eines einheitlichen Betriebs zusammengelegt, endet das Amt etwaiger Betriebsräte. Ihnen steht in der Folge nach § 21a Abs. 2 BetrVG ein Übergangsmandat für den neu entstandenen Gemeinschaftsbetrieb zu.
Rz. 89
Bestand in den beteiligten Betrieben zuvor kein Betriebsrat, kann im gemeinsamen Betrieb ein einheitlicher Betriebsrat unter den allgemeinen Voraussetzungen von § 1 BetrVG neu gewählt werden. Damit ist allerdings in beiden Fällen – und das hat weitreichende Konsequenzen – das gesamte Betriebsverfassungsrecht zwischen den beteiligten Trägerunternehmen anwendbar. Dies bedeutet etwa auch, dass der Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebs gem. § 47 Abs. 9 BetrVG am Gesamtbetriebsrat der jeweiligen Trägerunternehmen zu beteiligen ist. Soweit die Regelungen des BetrVG unter dem Vorbehalt gewisser Schwellenwerte stehen (bspw. Anzahl der Betriebsratsmitglieder, § 9 BetrVG, Freistellung eines Betriebsratsmitglieds, § 38 BetrVG), sind alle Arbeitnehmer des Gemeinschaftsbetriebs zu berücksichtigen.
Rz. 90
Nicht zu unterschätzen sind zudem die Auswirkungen der Gründung eines Gemeinschaftsbetriebs im Bereich des Kündigungsschutzrechts. Denn dort wird der Gemeinschaftsbetrieb ebenso als einheitlicher Betrieb behandelt. Folglich sind beim Schwellenwert des sachlichen Anwendungsbereichs des allgemeinen Kündigungsschutzes (§ 23 Abs. 1 KSchG) die Arbeitnehmer des Gemeinschaftsbetriebs zu addieren. Besonders gravierend ist die Gründung eines Gemeinschaftsbetriebs bei betriebsbedingten Kündigungen. Für die Sozialauswahl (§ 1 Abs. 2 KSchG) und die Suche nach anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten (§ 1 Abs. 3 KSchG) ist nämlich ebenfalls auf die Verhältnisse im gemeinsamen Betrieb abzustellen, losgelöst davon, welchem Unternehmen der jeweilige Arbeitnehmer arbeitsvertraglich angehört. Dies führt in gewisser Weise zu einem unternehmensübergreifenden Kündigungsschutz.
Rz. 91
Während das BAG die vorgenannten Konstellationen bereits zu entscheiden hatte, sind die Folgen eines Gemeinschaftsbetriebs auf die Unternehmensmitbestimmung bisher nur zum Teil geklärt. Entschieden hat das BAG bereits, dass im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigte Arbeitnehmern in jedem der beteiligten Unternehmen – auch wenn dies zu einer mehrfachen Wahlbeteiligung führt – das aktive Wahlrecht für Arbeitnehmer im Aufsichtsrat zusteht. Offengelassen hat es hingegen, ob die Arbeitnehmer des Gemeinschaftsbetriebs bei den Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung (§ 1 Abs. 1 DrittelbG, § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG) in allen am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen wechselseitig zugerechnet werden. Indes lässt sich der Rechtsprechung des BAG eine Tendenz zugunsten einer solchen Mehrfachberücksichtigung entnehmen.
Rz. 92
Daneben sollten auch die mittelbaren Auswirkungen eines Gemeinschaftsbetriebs nicht unterschätzt werden. So kann mitunter eine vorherige sachgrundlos befristete Beschäftigung bei einem der Trägerunternehmen zu Rechtsunsicherheiten...