Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. Sebastian Krülls
Rz. 68
Nicht einschlägig ist das Konzernprivileg, wenn der überlassene Arbeitnehmer "zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt" wurde. Der Begriff "und" ist missverständlich. Richtigerweise kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer zum Zwecke der Überlassung eingestellt "oder" beschäftigt wird. Das Bindewort soll allein zum Ausdruck bringen, dass es nicht darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zum Zwecke der Überlassung eingestellt wurde oder sich ein derartiger Zweck erst im Verlauf des Beschäftigungsverhältnisses entwickelt hat.
Rz. 69
Uneinigkeit besteht bei der Frage, wann der Arbeitnehmer zum Zwecke der Arbeitnehmerüberlassung eingestellt oder beschäftigt wird. Gesichert ist aufgrund der insoweit eindeutigen Gesetzesbegründung nur, dass jedenfalls reine Personalführungsgesellschaften, deren alleiniger Zweck die Einstellung und Überlassung von Personal ist, nicht unter das Konzernprivileg fallen. Für sie gilt im Fall tatbestandlicher Arbeitnehmerüberlassung uneingeschränkt das AÜG. Unsicherer ist die Rechtslage, wenn keine Personalführungsgesellschaft vorliegt, sondern das überlassene Konzernunternehmen auch einen eigenen Geschäftsbetrieb unterhält, in dessen Rahmen sie generell Arbeitnehmer bzw. den konkret überlassenen Arbeitnehmer beschäftigt. Weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzesbegründung enthalten für diesen Fall klare Aussagen. Die Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit schließen diese Fallkonstellationen allerdings ausdrücklich nicht vom Anwendungsbereich des Konzernprivilegs aus. Sie beschränken sich vielmehr allein auf die in der Gesetzesbegründung genannten Personalführungsgesellschaften.
Rz. 70
Richtigerweise sprechen auf Basis des nationalen Rechts die besseren Argumente für eine weite – das AÜG im Konzern ausschließende – Auslegung des Konzernprivilegs. Der Gesetzgeber hat die Konzernüberlassung bewusst vom AÜG ausgenommen, was etwa ein Verständnis, wonach der Arbeitnehmer im Rahmen der Konzernüberlassung "gar nicht" zum Zwecke der Überlassung eingestellt oder beschäftigt werden darf, offensichtlich konterkariert. Im Gegenteil ist die arbeitsvertragliche Zulässigkeit der Konzernüberlassung eine notwendige Grundvoraussetzung für diese. Der Verweis auf die sog. Personalführungsgesellschaften in der Gesetzesbegründung zeigt im Gegenteil eindeutig, dass gerade nicht jedwede Überlassung von Arbeitnehmern im Konzern dem Anwendungsbereich des AÜG unterfällt. Unzutreffend ist es auch, für die Auslegung des Konzernprivilegs Rückschlüsse aus dem vorübergehenden Charakter der Arbeitnehmerüberlassung aus § 1 Abs. 1 S. 4 AÜG herzuleiten. Das Gesetz verweist für die vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung seit der Reform in § 1 Abs. 1 S. 4 AÜG allein auf die gesetzliche Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1b AÜG. Diese gilt bei der Konzernarbeitnehmerüberlassung aber gerade nicht. Auch die Bereichsausnahme für die gelegentliche Arbeitnehmerüberlassung in § 1 Abs. 3 Nr. 2a AÜG legt eine weite Auslegung des Konzernprivilegs nahe.
Rz. 71
Im Ergebnis spricht viel dafür, dass das Konzernprivileg aus § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG immer dann einschlägig ist, wenn zum Zeitpunkt der Überlassung ein das Beschäftigungsverhältnis prägender Kerngehalt auch zukünftig noch die Förderung der von der Arbeitnehmerüberlassung unabhängigen arbeitstechnischen Zwecke des eigenen Vertragsarbeitgebers durch die dortige Beschäftigung ist.
Rz. 72
Eine engere Auslegung, wonach das Konzernprivileg bereits ausscheidet, sobald der Zweck des überlassenen Konzernunternehmens auch einen Einsatz von Arbeitnehmern bei Dritten umfasst und das Arbeitsverhältnis diesen Zweck fördern soll, indem der Arbeitnehmer auch unter dem Weisungsrecht des Dritten tätig wird, schränkt den Anwendungsbereich des Konzernprivilegs entgegen der klaren Intention des deutschen Gesetzgebers unverhältnismäßig stark ein. Wechselseitig ermöglicht der hier genannte Prüfungsmaßstab eine hinreichende normative Grundlage dafür, um die aus der Leiharbeitsrichtlinie ableitbare Wertungsfrage zu vollziehen, ob der Leiharbeitnehmer sich unter Berücksichtigung der Richtlinienziele in einem Beschäftigungsverhältnis befindet, "um" überlassen zu werden (Art. 3 Abs. 1 lit. b, c RL 2008/104/EG).
Rz. 73
Die Rechtssicherheit der Konzernüberlassung dürfte es in der Praxis erhöhen, wenn nachweisbare Indizien dafür vorliegen, dass das Arbeitsverhältnis mit dem überlassenden Konzernunternehmen nicht allein zum Zweck der Arbeitnehmerüberlassung fortbesteht, sondern auch eine eigene Beschäftigung des Arbeitnehmers beim Vertragsarbeitgeber geplant ist (z.B. konkreter Anlass für die Überlassung etwa in Form eines Projekts, Secondments oder einer Vertretung sowie zeitlich vorgesehene Überlassungsbegrenzungen, befristete oder gar keine Neubesetzung des bisherigen Arbeitsplatzes des Leiharbeitnehmers sowie die Historie des bisherigen Arbeitsverhältnisses usw.). Allein ...