I. Überblick über die Rechtsverhältnisse

 

Rz. 15

Laut § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG liegt Arbeitnehmerüberlassung vor, wenn Arbeitgeber als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen. Die Arbeitnehmerüberlassung ist damit wie das Arbeitsverhältnis von anderen Vertragskonstruktionen, insbesondere dem Fremdpersonaleinsatz aufgrund von On-Site-Werk- oder Dienstverträgen, abzugrenzen. Die Abgrenzung erfolgt anhand einer Gesamtwürdigung im Einzelfall. Grundvoraussetzung für die Arbeitnehmerüberlassung ist zunächst, dass zwischen dem Auftragnehmer und der zur Auftragserfüllung eingesetzten Person überhaupt ein Arbeitsverhältnis besteht. Wenn ein Solo-Selbstständiger/Freier Mitarbeiter tätig wird, liegt – sofern es sich nicht um einen Fall der Scheinselbstständigkeit handelt – unproblematisch keine Arbeitnehmerüberlassung vor (zur näheren Einordnung und Behandlung der Soloselbstständigen im Verhältnis zur Zeitarbeit siehe § 4 Rdn 84 ff.). In den für die Arbeitnehmerüberlassung relevanten Drei-Personen-Verhältnissen liegt also auch bei einer Überlassung aufgrund eines Werk- bzw. Dienstvertrags unproblematisch ein Arbeitsverhältnis vor, nämlich dasjenige zwischen Auftragnehmer und seinen als Erfüllungsgehilfen eingesetzten Mitarbeitern. Zentrale Frage ist daher im Rahmen dieser Abgrenzung nicht, ob der "Tätigwerdende" überhaupt Arbeitnehmer ist, sondern ausschließlich, welchem Arbeitgeber er zuzuordnen ist.

Die Antwort auf diese Frage richtet sich danach, wessen Weisungen das eingesetzte Personal tatsächlich unterliegt. Nur bei der Arbeitnehmerüberlassung enthält der Entleiher durch den Überlassungsvertrag das Recht, den Leiharbeitnehmer wie ein Arbeitgeber anzuweisen. Die Tätigkeit des Arbeitgebers (Verleihers) erschöpft sich bei dieser Form der Personalgestellung darin, seine Pflicht aus dem Überlassungsvertrag zu erfüllen, indem er dem Entleiher zur Förderung von dessen Betriebszwecken geeignete Arbeitnehmer zur Verfügung stellt.

Die Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen dadurch, dass beide Formen der Personalgestellung in der Außenwirkung aufgrund der Drei-Personen-Beziehung große Ähnlichkeit aufweisen. Zudem erteilt der Auftraggeber auch beim Werk- oder Dienstvertrag durchaus Weisungen, nämlich solche, die sich auf das Werk bzw. die Dienstleistung beziehen (werkbezogene Weisungen).

Im Folgenden wird zunächst auf die in der öffentlichen Diskussion im Vordergrund stehende Abgrenzung zum Fremdpersonaleinsatz aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrages (siehe unter Rdn 16 ff.) eingegangen. Neben einer Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Regelung in § 611a BGB bedarf es einer Klärung des Verhältnisses dieser Vorschrift zu der im Zuge der Reform des AÜG neu eingefügten Legaldefinition des Leiharbeitnehmers in § 1 AÜG (hierzu unter Rdn 19 ff.).

Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich darüber hinaus bei sonstigen Vertragskonstruktionen und Einsatzszenarien, die keine Arbeitnehmerüberlassung darstellen. Verwiesen sei auf die Personalgestellung im Konzern und im öffentlichen Dienst. Hierzu finden sich gesonderte Stellungnahmen (zu den Auswirkungen der Reform auf die Überlassung innerhalb eines Konzerns sowie die Personalgestellung im öffentlichen Dienst siehe § 5 Rdn 6 f., 37 ff.).

II. Bedeutungslosigkeit der Grenzziehung zwischen Werk- und Dienstvertrag

 

Rz. 16

Das BAG hatte in der Vergangenheit verschiedentlich Gelegenheit, sich mit der Abgrenzung zwischen dem Fremdpersonaleinsatz aufgrund eines Werkvertrages und der Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG auseinanderzusetzen. Von gefestigten Rechtsprechungsgrundsätzen kann freilich bislang nicht die Rede sein.

Die Diskussion um die arbeitsrechtlich relevante Beurteilung eines Werkvertrages bzw. genauer einer Personalgestellung auf der Grundlage eines Werkvertrages wird häufig vermengt mit der insoweit völlig bedeutungslosen zivilrechtlichen Abgrenzung eines Werkvertrages von einem Dienstvertrag. BAG und BGH definieren die Merkmale des Werkvertrages übereinstimmend wie folgt: Durch einen Werkvertrag wird der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werks und der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet (§ 631 Abs. 1 BGB). Gegenstand eines Werkvertrags kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein (§ 631 Abs. 2 BGB). Für die Abgrenzung zum Dienstvertrag ist maßgebend, ob ein bestimmtes Arbeitsergebnis bzw. ein bestimmter Arbeitserfolg oder nur eine bestimmte Dienstleistung als solche geschuldet wird.[41]

Diese für zivilrechtliche Folgen, etwa die den Werkvertrag kennzeichnende Notwendigkeit einer Abnahme, bedeutsame Grenzziehung ist für das Arbeitsrecht ohne jede Relevanz. Die Beauftragung eines externen Dienstleisters kann ebenso gut auf der Grundlage eines Werkvertrages wie auf der Grundlage eines Dienstvertrages erfolgen. In beiden Fällen wird die vertraglich vereinbarte Leistung durch die Mitarbeiter des Auftragnehmers erbracht, die dieser als seine Erfüllungsgehilfen einsetzt. Aus de...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge