Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. Sebastian Krülls
Rz. 59
Beim rechtsträgerübergreifenden Personaleinsatz ist eine zentrale Weichenstellung hiernach zunächst die eingangs aufgeworfene Frage, ob dieser Einsatz innerhalb oder außerhalb der eigenen Konzernstruktur (§ 18 AktG) erfolgt.
1. Erlaubnisfreier Mitarbeitertransfer im Konzern
Rz. 60
Abgesehen von den in § 1 Abs. 3 (Eingangssatz) AÜG bezeichneten – oftmals in der Praxis nicht relevanten – Vorschriften findet das AÜG innerhalb desselben Konzerns keine Anwendung, soweit die Bereichsausnahme aus § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG einschlägig ist. Das AÜG gilt hiernach nicht zwischen Konzernunternehmen i.S.d. § 18 AktG, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird. Dies gilt insbesondere für die Kernvorschriften des AÜG rund um die Höchstüberlassungsgrenze, den Grundsatz der Gleichstellung, das Konkretisierungsgebot sowie die Erlaubnispflicht. Die Abgrenzung zwischen der Arbeitnehmerüberlassung und den freien Dienst- und Werkverträgen verliert in diesen Fällen zumindest ein Stück weit ihren Schrecken, weil das stark regulative AÜG auch dann nicht anwendbar ist, wenn der Fremdpersonaleinsatz widererwartend tatbestandlich mit einer Arbeitnehmerüberlassung einhergeht, obwohl z.B. ursprünglich eine Zusammenarbeit in Form eines Dienst- oder Werkvertrags geplant war. Ebenso ermöglicht das Konzernprivileg den beteiligten Unternehmen von Beginn an tatbestandlich auf die Arbeitnehmerüberlassung zurückzugreifen, ohne zugleich die starken regulativen Vorgaben dieses Gesetzes beachten zu müssen. Historischer Hintergrund der Bereichsausnahme für die Konzernüberlassung aus § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ist der pragmatische Befund des deutschen Gesetzgebers, dass bei der Arbeitnehmerüberlassung zwischen Konzernunternehmen nur der konzerninterne Arbeitsmarkt der beteiligten Gesellschaften betroffen ist. Eine arbeitsmarkrelevante soziale Gefährdung des (Leih-)Arbeitnehmers ist aus Sicht des deutschen Gesetzgebers hier nicht gegeben. Die Anwendung des AÜG würde im Gegenteil eine bürokratische Förmlichkeit für die Unternehmen darstellen.
Rz. 61
Das Konzernprivileg vermag die aus dem AÜG resultierenden zivilrechtlichen und bußgeldrechtlichen Risiken eines Fremdpersonaleinsatzes aber nicht vollkommen auszuschließen. Zum einen ist die Bereichsausnahme tatbestandlich nur dann einschlägig, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird. Zum anderen wird verbreitet die Vereinbarkeit der deutschen Bereichsausnahme mit dem Unionsrecht angezweifelt.
2. Richtlinienkonformität des Konzernprivilegs
a) Rechtliche Rahmenbedingungen
Rz. 62
Anders als das AÜG enthält die Leiharbeitsrichtlinie keine ausdrückliche Bereichsausnahme für die Konzernarbeitnehmerüberlassung (vgl. Art. 1 Abs. 3 RL 2008/104/EG). Hieraus wird verbreitet abgeleitet, § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG sei unionsrechtswidrig. Die Gegenauffassung – zu der ausdrücklich der deutsche Gesetzgeber zählt – will diesen Umkehrschluss zu Recht nicht ziehen.
Rz. 63
Richtigerweise ließe sich allein vom Fehlen eines ausdrücklichen Konzernprivilegs in der Leiharbeitsrichtlinie nur dann überzeugend auf die Unionsrechtswidrigkeit der deutschen Vorschrift schließen, wenn man zugleich unterstellt, dass der Begriff des Leiharbeitsnehmers (Art. 3 Abs. 1 lit. c RL 2008/104/EG) und des Leiharbeitsunternehmens (Art. 3 Abs. 1 lit. b RL 2008/104/EG) inhaltsgleich mit dem Begriffsverständnis der deutschen Arbeitnehmerüberlassung im Konzern sind (§§ 1 Abs. 1 S. 2, 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG). Hieran lässt sich aber trefflich zweifeln, weil beide Begriffe in der Leiharbeitsrichtlinie voraussetzen, dass mit dem Leiharbeitnehmer ein Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis begründet wurde, "um" ihn an ein entleihendes Unternehmen zu überlassen. Der in der Leiharbeitsrichtlinie in Art. 3 Abs. 1 lit, b, c verwendete Begriff "um" lässt durchaus auch eine Auslegungsvariante zu, wonach neben die leiharbeitstypische Überlassungssituation auch eine wertende Betrachtung treten muss, ob mit dem Arbeitnehmer ein Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis besteht, gerade "um" ihn (im Konzern) zu überlassen. Der deutsche Gesetzgeber hat diese in der Leiharbeitsrichtlinie angelegte wertende Betrachtung durch die Wendung "nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt" durchaus im deutschen AÜG gespiegelt. Auch der vom historischen Gesetzgeber ursprünglich verfolgte Zweck von § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG steht nicht im Widerspruch zur Leiharbeitsrichtlinie. Ziel der Leiharbeitsrichtlinie ist es, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit in den Mitgliedstaaten zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung gem. Art. 5 RL 2008/104/EG gesichert wird und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen (Art. 2 RL 2008/104/EG). Die Leiharbeitsrichtlinie verfolgt somit ei...