Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. Sebastian Krülls
Rz. 74
Ist das Konzernprivileg gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG für eine geplante rechtsträgerübergreifende Zusammenarbeit (voraussichtlich) nicht einschlägig, ist nicht selten auch die Gründung eines Gemeinschaftsbetriebs eine erörterungswürdige Alternative zur Arbeitnehmerüberlassung.
Unternehmen innerhalb wie auch außerhalb von Konzernstrukturen können sich nach Maßgabe des BetrVG auf einen unternehmensübergreifenden Personal- und Betriebsmitteleinsatz einigen, indem sie in einer gemeinsamen Betriebsstätte – ohne zwingend in ihrer Verbundenheit nach außen hin aufzutreten – gemeinsam bestimmte Zwecke verfolgen. Nach der weitgehenden gesetzlichen (Über-)Regulierungen des AÜG im Jahr 2017 ist diese Zusammenarbeit in einem Gemeinschaftsbetrieb vielfach als Alternative zur Arbeitnehmerüberlassung empfohlen worden. Freilich ist der praktische Anwendungsbereich des Konzernprivilegs nicht zwingend deckungsgleich mit demjenigen eines gemeinsamen Betriebs. Während das Konzernprivileg etwa auch einen administrativ wenig aufwendigen Wechsel einzelner Arbeitnehmer zwischen Konzernunternehmen ermöglicht, geht die Bildung gemeinsamer Betriebsstätten regelmäßig mit einem größeren Planungsaufwand einher. Eine praktische Alternative zur Arbeitnehmerüberlassung stellt der gemeinsame Betrieb daher regelmäßig nur bei längerfristiger integrativer Projektarbeit mehrerer Unternehmen dar. Während bei der Arbeitnehmerüberlassung überdies vorwiegend der Personaltransfer "in eine Richtung" erfolgt, führt die Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs zumindest regelmäßig zu einem wechselseitigen bzw. gemeinsamen Personaleinsatz zwischen den Trägerunternehmen.
1. Ausschlussverhältnis von Arbeitnehmerüberlassung und Gemeinschaftsbetrieb
Rz. 75
Rechtsdogmatisch schließen sich Arbeitnehmerüberlassung und Gemeinschaftsbetrieb nach übereinstimmender Meinung der Rechtsprechung und Literatur aus. Soweit zwischen zwei (oder mehr) Unternehmen ein Gemeinschaftsbetrieb besteht, findet das AÜG auf diese Kooperation der Trägerunternehmen keine Anwendung, weil tatbestandlich keine Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG gegeben ist.
Rz. 76
Das BAG nimmt einen Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen an, wenn die beteiligten Unternehmen einen einheitlichen Leitungsapparat zur Erfüllung der in der organisatorischen Einheit zu verfolgenden arbeitstechnischen Zwecke geschaffen haben. Insbesondere müssen die Arbeitgeberfunktionen in den sozialen und personellen Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen sein. Diese einheitliche Leitung muss sich auf die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen in den sozialen und personellen Angelegenheiten erstrecken.
Rz. 77
Der Gemeinschaftsbetrieb zeichnet sich daher regelmäßig durch die nachfolgenden charakteristischen Merkmale aus:
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einheitlicher Leitungsapparat in wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten, |
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(konkludente) Führungsvereinbarung, |
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gemeinsamer Einsatz von Betriebsmitteln und Personal (in einer Betriebsstätte) zu arbeitstechnischen Zwecken. |
Rz. 78
Wesentliches Merkmal eines Gemeinschaftsbetriebs ist – als eine Art Pendant zum Arbeitgeber im einfachen Betrieb – ein tatsächlich ausgeübter einheitlicher Leitungsapparat durch mehrere Unternehmen. Dieser muss imstande sein, die Gesamtheit der für die Erreichung des arbeitstechnischen Zwecks eingesetzten personellen, technischen und immateriellen Mittel rechtlich und tatsächlich zu lenken. Eine rein unternehmerische Zusammenarbeit durch Beherrschungsverträge oder Fremdsteuerung von Arbeitsprozessen ist nicht ausreichend, um einen solchen Leitungsapparat zu begründen. Es ist vielmehr der wesentliche Kern der Arbeitgeberfunktionen in den der Mitbestimmung unterliegenden personellen und sozialen Angelegenheiten, der den gemeinsamen Leitungsapparat auszeichnet. Auf die unternehmerische Funktion im Bereich der wirtschaftlichen Angelegenheiten kommt es im Rahmen des Gemeinschaftsbetriebs nicht entscheidend an. Ebenso sind rein administrative Aufgaben im Personalbereich für den Tatbestand eines Gemeinschaftsbetriebs ohne zentrale Bedeutung. Die einheitliche Kompetenz in personellen und sozialen Angelegenheiten innerhalb eines Gemeinschaftsbetriebs wird durch die beteiligten Unternehmen vielmehr ohne Rücksicht auf die unterschiedlichen arbeitsvertraglichen Bindungen in Bezug auf die wesentlichen Entscheidungen etwa über Personalplanung, Einstellungen, die Gestaltung von Arbeitsbedingungen, Arbeitsentgelt, Urlaub, Krankheitsvertretung, Arbeitseinsatz, Versetzung, Überstunden, Entlassung ausgeübt.
Rz. 79
Nach Ansicht des BAG ist über einen gemeinsamen Leitungsapparat hinaus für die Begründung eines Gemeinschaftsbetriebs eine rechtliche Verei...