1. Kriterienkatalog: Das Gegenmodell eines Positivkatalogs

 

Rz. 23

Bedauerlich ist, dass im Gesetzgebungsverfahren erneut nur das in der Vergangenheit bereits gescheiterte Konzept eines "Negativkatalogs" verfolgt wurde, bei dem ein Katalog von Kriterien zusammengestellt wird, die für den Status als Arbeitnehmer sprechen sollen. Dieses Konzept ist schon vom Ansatz her allenfalls für die Abgrenzung des Arbeitnehmers vom Soloselbstständigen diskutabel und hat sich auch dort in der Praxis als unbrauchbar erwiesen, wie der vollständig gescheiterte Versuch in § 7 Abs. 1 SGB IV in der Fassung des "Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten" vom 19.12.1998 zeigt. Für die anders gelagerte Frage der Abgrenzung des Drittpersonaleinsatzes auf der Grundlage von Werk- oder Dienstverträgen von der Zeitarbeit erweist sich ein solcher Katalog erst recht als unbrauchbar. Hätte der Gesetzgeber konsequent das zentrale Ziel "Rechtssicherheit für die Praxis" umgesetzt, so hätte es sich angeboten, im Sinne des vom Verfasser schon in der Vergangenheit geforderten Positivkatalogs Merkmale für unbedenkliche Werk- und Dienstverträge zu definieren. Über einen solchen Positivkatalog könnte insbesondere der zweistufigen Prüfung Rechnung getragen werden, in deren Rahmen zum einen der Inhalt des Vertrages zwischen Auftraggeber und Dienstleister gewürdigt und zum zweiten die tatsächliche Durchführung des Drittpersonaleinsatzes im Betrieb des Auftraggebers als Korrektiv berücksichtigt wird.

2. Elemente eines Positivkatalogs

 

Rz. 24

Ein entsprechender Positivkatalog hätte in einem weiteren Absatz des § 1 AÜG aufgenommen werden sollen. Angeboten hätte sich etwa folgende Formulierung:

Zitat

Absatz 3: Keine Arbeitnehmerüberlassung, sondern eine unbedenkliche Form des Fremdpersonaleinsatzes auf der Grundlage von Werk- oder Dienstverträgen liegt ungeachtet einer Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers u.a. dann vor, wenn Beratungsleistungen im kreativen oder komplexen Projektgeschäft (Optimierungs-, Entwicklungs- und IT-Einführungsprojekte) erbracht werden und

die Dienst- oder Werkleistung spezifisches Know-How erfordert, auf das sich der Vertragsarbeitgeber/ Dienstleister spezialisiert hat,
die Personalhoheit ausschließlich beim Vertragsarbeitgeber/Dienstleister liegt,
die Mitarbeiter des Vertragsarbeitgebers/Dienstleisters spezialisierte Experten in den Bereichen Ingenieurwesen, EDV-Technik, Digitalisierung, neue Medien, Industrie 4.0. sind,
der Vertragsarbeitgeber seinen Beschäftigten ein Konzept der Mitarbeiterschulung und Personalentwicklung anbietet,
der Vertragsarbeitgeber auch für andere Auftraggeber tätig wird, die einen vergleichbaren Beratungsbedarf haben,
der Vertragsarbeitgeber überwiegend mit festangestelltem Personal arbeitet.“

Ein derartiger Positivkatalog vermeidet die Schwächen eines Negativkataloges, weil er anders als jener lediglich das Ziel der Rechtssicherheit verfolgt, dagegen nicht den Versuch unternimmt, die Grenzlinie (hier: zwischen der Arbeitnehmerüberlassung und den sonstigen Formen des Drittpersonaleinsatzes) zu verschieben. Er dient sachgerecht dem Ziel, seriösen Werk- und Dienstleistern ein Dienstleistungsangebot zu ermöglichen, das auch von Seiten der Auftraggeber angenommen werden kann, ohne dem Risiko einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung mit ihren weit reichenden Folgen, insbesondere der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Auftraggeber, ausgesetzt zu sein. Den zutreffenden Ansatz über Positivkriterien wählt auch die Bundesagentur für Arbeit[52] in ihren zum 1.8.2019 aktualisierten fachlichen Weisungen (dazu § 3 Rdn 36).

[52] Fachliche Weisungen AÜG, 1.8.2019, insb. S. 15 f.; Merkblatt AÜG 10, 4/2017.

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