Rz. 5
Als weiteres Kriterium nennt Art. 5 Abs. 1 lit. a) die Verarbeitung nach Treu und Glauben; anders als zu den Begriff der "Rechtmäßigkeit" und der "Transparenz" finden sich jedoch auch in den Erwägungsgründen keine weiteren Erläuterungen dazu, was der europäische Gesetzgeber unter "Treu und Glauben" im Rahmen einer Datenverarbeitung verstanden wissen will. Fest steht, der Grundsatz von Treu und Glauben ist in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, ebenso wie im europäischen Sekundärrecht fest verankert. Man möchte also meinen, es existiere eine allgemein anerkannte, rechtsordnungsübergreifende Definition dieses Begriffes, die – zumindest in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten – eine nähere Ausprägung erfahren hätte. Dem ist indes nicht so. Weder in anderen Rechtssetzungsakten der EU, noch in der Rechtsprechung des EuGH, der den Grundsatz verschiedentlich in seiner Rechtsprechung zitiert, findet sich eine inhaltliche Bestimmung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes. Nach Berger/Arntz handelt sich vielmehr
Zitat
"um einen ethisch-moralischen Standard, der erst im Einzelfall seine konkrete Ausprägung erfährt."
Rz. 6
Vor dem Hintergrund der Ordnungsgeldandrohung in 83 Abs. 5 DSGVO hilft dies nur bedingt weiter und bürdet dem Verantwortlichen ein nicht unerhebliches Beurteilungsrisiko auf. Insoweit erfordert zwar jede datenschutzrechtliche Bewertung eine Einzelfallbetrachtung. Wenn jedoch die Prüfungsanforderungen, die sich im konkreten Einzelfall für den Verantwortlichen stellen, selbst nicht klar und eindeutig bestimmbar sind, könnte die Frage aufgeworfen werden, ob der Anforderung in Art. 5 Abs. 1 lit a) Alt. 2 DSGVO überhaupt ein Regelungscharakter entnommen werden kann oder ob es sich hier mehr oder minder um eine Formulierung ohne Regelungscharakter, einen Auffangtatbestand, handelt. Angesichts des Umstandes, dass sich eine ähnliche Formulierung bereits in der Datenschutzrichtlinie findet, wird man eine solche Ansicht kaum vertreten können. In den Erwägungsgründen der Datenschutzrichtlinie heißt es insoweit:
Zitat
"Die Datenverarbeitung nach Treu und Glauben setzt voraus, daß die betroffenen Personen in der Lage sind, das Vorhandensein einer Verarbeitung zu erfahren und ordnungsgemäß und umfassend über die Bedingungen der Erhebung informiert zu werden, wenn Daten bei ihnen erhoben werden."
Rz. 7
Auf diese Erläuterung kann im Rahmen der Beurteilung der inhaltlichen Reichweite der Erfüllung des Gebots von Treu und Glauben innerhalb der DSGVO nur bedingt zurückgegriffen werden, nachdem der hier im Wesentlichen umschriebene Grundsatz der Transparenz der Datenverarbeitung in Art. 5 Abs. 1 lit. a) 3. Alt. DSGVO nunmehr gesondert Erwähnung findet.
Rz. 8
Richtig scheint insoweit eher ein Blick in die anderen Sprachfassungen der DSGVO, der begründeten Anlass dazu gibt, daran zu zweifeln, ob die in der deutschen Sprachfassung gewählte Formulierung "Treu und Glauben" tatsächlich mit dem aus dem römischen Recht abgeleiteten Grundsatz des "bona fides" identisch ist. Selbiger wäre im Englischen mit "good faith" zu übersetzen gewesen. In der englischen Sprachfassung der DSGVO heißt es "Personal data shall be processed fairly", was eher mit "anständig", "richtig" oder "fair" zu übersetzen ist. Die französische Sprachfassung spricht von "loyale" (= "pflichtgetreu" oder "fair"), die italienische Sprachfassung von "corretto" (= "korrekt", "richtig", "fair").
Rz. 9
Eine dem "bona fides" inhaltlich vergleichbare Übersetzung findet sich damit allein in der amtlichen deutschen Sprachfassung der Verordnung. Insoweit ist davon auszugehen, dass die Verwendung der Begrifflichkeit "Treu und Glauben" innerhalb der DSGVO autonom und unabhängig von gemeinen Begriffsverständnis zu bestimmen ist. Unter Berücksichtigung der deutschen Sprachfassung muss der Begriff als "fair" im Sinne eines "den Regeln des Zusammenlebens entsprechenden, anständigen und gerechten Verhaltens" gegenüber dem Betroffenen verstanden werden.
Rz. 10
Die Datenverarbeitung nach "Treu und Glauben" erfordert in diesem Sinne eine angemessene Rücksichtnahme auf die Interessen des Betroffenen und macht insoweit deutlich, dass Verarbeitungen – wohl auch außerhalb der Datenverarbeitung auf Grundlage eines berechtigten Interesses – stets eine Abwägung mit den Betroffeneninteressen erfordern. Die Befolgung des "Gebotes von Treu und Glauben" ist insoweit als Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu verstehen.