1. Betriebsbegriff
Rz. 25
Nach §§ 1, 23 Abs. 1 S. 1 KSchG gilt der allgemeine Kündigungsschutz für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts. Er ist nach dem Wortlaut betriebs- und nicht unternehmensbezogen. Betrieb ist die organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmern durch Einsatz technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen. Wesentliche Merkmale des Betriebsbegriffs sind die einheitliche Organisation sowie eine einheitliche Leitung, die die Verfolgung des arbeitstechnischen Zwecks zum Ziel hat. Der Begriff des Betriebs ist weit zu fassen. Es fallen hierunter alle organisatorischen Einrichtungen, z.B. Produktionsstätte, Niederlassung, Kaufhaus, Bankfiliale, ggf. Supermarkt, landwirtschaftliches Gut, Verwaltung, Klinik, Praxis und Kanzlei.
Rz. 26
Als Verwaltungen des öffentlichen Rechts i.S.v. § 23 Abs. 1 S. 1 KSchG gelten alle Verwaltungsbehörden des Bundes, der Länder und der Gemeinden, wie anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften, z.B. öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten oder Stiftungen. Es ist nicht auf den personalvertretungsrechtlichen Begriff der Dienststelle abzustellen, sondern auf die Gesamtheit der nachgeordneten Dienststellen einer größeren öffentlichen Verwaltung. Einbezogen sind ebenso Bedienstete der Religionsgemeinschaften, soweit diese sich der Rechtsfigur des Arbeitsverhältnisses bedienen. Der Begriff bezieht sich auf die Organisation, in der mehrere Dienststellen zu einer administrativen Hierarchie zusammengefasst werden, also z.B. die Innenbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, nicht etwa nur die Polizei Hamburg. Verwaltung i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG ist bei Arbeitsverhältnissen mit einer Anstalt des öffentlichen Rechts folglich die Anstalt insgesamt, nicht etwa die einzelnen Betriebsstätten wie z.B. Altenheime.
Rz. 27
Das BVerfG hat in seinem Beschl. v. 27.1.1998 festgestellt, dass im Einzelfall auch Teile größerer Unternehmen unter Anwendung des geltenden Betriebsbegriffs aus dem Anwendungsbereich des KSchG herausfallen könnten, obwohl auf diese Betriebe nicht die Gesichtspunkte zuträfen, die eine Benachteiligung der Arbeitnehmer von Kleinbetrieben rechtfertigen (enge persönliche Zusammenarbeit, persönliche Mitarbeit des Arbeitgebers im Betrieb, geringe Finanzausstattung und Verwaltungskapazität). Das sei mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Der Betriebsbegriff ließe sich jedoch im Wege verfassungskonformer Auslegung auf die Einheiten beschränken, für deren Schutz die Kleinbetriebsklausel allein bestimmt sei.
Rz. 28
Teilweise wird angenommen, § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG müsse im Wege verfassungskonformer Auslegung teleologisch dahingehend reduziert werden, dass sich die für die Freistellung vom Kündigungsschutz erhebliche Arbeitnehmerzahl auf das Unternehmen bezieht. Nur der Kleinstunternehmer (= Arbeitgeber) dürfe vom Geltungsbereich ausgenommen werden. Das BAG hat in zwei Entscheidungen das Festhalten des Gesetzgebers am Betriebsbegriff und die Rspr. des BVerfG gewürdigt und sich gehindert gesehen, den Geltungsbereich des KSchG unternehmens- bzw. konzerndimensional im Wege der Rechtsfortbildung auszuweiten.
Rz. 29
Aus diesen Gründen ist die Auffassung, abhängige Konzernunternehmen, also etwa die von der Konzernobergesellschaft abhängige GmbH, würden nunmehr dem KSchG unterfallen, in dieser Allgemeinheit nicht haltbar. Es kann nur im Einzelfall anhand der vom BVerfG bestimmten Kriterien geprüft werden, ob eine verfassungskonforme Auslegung des Betriebsbegriffs geboten ist. So hat unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entscheidung des BVerfG das LAG Düsseldorf entschieden, dass bei einem Unternehmen mit nicht mehr als fünf Arbeitnehmern, das als herrschende Konzernmuttergesellschaft die formal selbstständigen, aber weisungsgebundenen Konzerntöchter führt, es sich nicht um einen Kleinbetrieb i.S.v. § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG handelt.
Rz. 30
Unter Hinweis auf die Rspr. des BVerfG ist die Auffassung vertreten worden, die Kleinstbetriebsklausel müsse verfassungskonform so ausgelegt werden, dass Arbeitnehmer in ausländischen Betrieben mitgezählt werden. Es liegt auf der Hand, dass dadurch viele kleine Vertriebseinheiten großer ausländischer Muttergesellschaften dem KSchG unterfallen würden. Auch diese Auffassung ist aus den vorgenannten Gründen in dieser Pauschalität nicht haltbar. Der räumliche Geltungsbereich des KSchG ist auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KSchG müssen im Inland erfüllt sein. Im Einzelfall kann aber – wie unter Rdn 29 beschrieben – eine verfassungskonforme Auslegung des Betriebsbegriffs vorzunehmen sein. Europarechtlich wird diese Frage ebenfalls zu überdenken sein.