Rz. 163

Scheinselbstständige sind Arbeitnehmer, die nur "zum Schein" wie Selbstständige auftreten oder als solche bezeichnet werden, nach den tatsächlichen Verhältnissen aber abhängig beschäftigt sind. Das Problem der Scheinselbstständigkeit hat sich in der Bundesrepublik infolge einer verschärften Wettbewerbs- und Arbeitsmarktsituation verschärft.

 

Rz. 164

Scheinselbstständige finden sich besonders häufig z.B.

als freie Mitarbeiter in beratenden Berufen und bei den Medien,
als Subunternehmer im Baugewerbe,
als selbstfahrende "Unternehmer" im gewerblichen Güterkraftverkehr,
unter den Versicherungskaufleuten im Außendienst,
als Propagandisten,
als Regalauffüller,
als Pflegekräfte,
als Teleheimarbeiter,
im Franchising-Gewerbe.
 

Rz. 165

Am Anfang steht im Regelfall eine Vereinbarung zwischen dem sog. Auftraggeber und dem Auftragnehmer mit dem Inhalt, dass der Auftragnehmer seine Tätigkeit als selbstständig Tätiger und nicht als Arbeitnehmer verrichtet. Die Problematik entsteht, weil das Sozialrecht vorrangig auf die tatsächlichen Verhältnisse des Arbeitslebens im einzelnen Fall abstellt und nicht auf das vertraglich Vereinbarte, wenn dieses mit dem tatsächlichen Arbeitsablauf nicht in Übereinstimmung steht.

 

Rz. 166

 

Hinweis

Die Problematik der Scheinselbstständigkeit entfaltet sich nicht nur auf dem Gebiet des Sozialrechts, sondern auch auf den Gebieten des Arbeits- und Steuerrechts. Scheinselbstständige und ihre Auftraggeber (Arbeitgeber) umgehen sozialversicherungsrechtliche Vorschriften und entziehen dem Sozialversicherungssystem Beiträge in erheblicher Höhe. Gleichzeitig wälzen sie die sozialen Risiken auf die Allgemeinheit ab. Die Arbeitnehmer/Scheinselbstständigen sind gegen viele Risiken des Lebens nicht abgesichert und arbeitsrechtlich in manchen Bereichen schutzlos (z.B. im Kündigungs- oder im Krankheitsfall).

 

Rz. 167

Wird ein Tatbestand der Scheinselbstständigkeit durch die Sozialversicherungsträger aufgedeckt, muss der Auftraggeber/Arbeitgeber die Beiträge möglicherweise für die letzten vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind, ent­richten. Sind die Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden, tritt Verjährung erst in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge fällig geworden sind, ein (§ 25 SGB IV).

 

Rz. 168

Bei den nachzuentrichtenden Beiträgen handelt es sich um den sog. Gesamtsozialversicherungsbeitrag, also nicht nur um die Arbeitgeberanteile, sondern auch um die Arbeitnehmeranteile.

 

Rz. 169

Der Auftraggeber/Arbeitgeber hat also den gesamten Sozialversicherungsbeitrag zu entrichten, da er den Anspruch nach § 28g SGB IV, den er gegen den Beschäftigten hat, nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend machen kann, und ein unterbliebener Abzug nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden darf. Eine solche Situation wirkt sich in der Praxis häufig für das betroffene Unternehmen existenzgefährdend aus.

 

Rz. 170

 

Praxistipp

Dieser Gefahr kann der Arbeitgeber begegnen, wenn er rechtzeitig das Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV einleitet. Eine besondere Privilegierung tritt ein, wenn die Parteien des Arbeitsvertrages diesen Antrag innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit bei der Deutschen Rentenversicherung (DR) Bund (Clearingstelle) stellen. In diesen Fällen tritt die Versicherungspflicht erst mit der Entscheidung der angerufenen Clearingstelle ein, die Fälligkeit sogar erst nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes.

 

Rz. 171

Wenn die Rentenversicherung ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis feststellt und demgemäß Beiträge zu entrichten wären, tritt die Versicherungspflicht nach § 7a Abs. 6 SGB IV erst mit Bekanntgabe der Entscheidung ein, wenn der Arbeitnehmer

zustimmt und
er für den Zeitraum zwischen der Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung eine Absicherung wie in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung besitzt.
 

Rz. 172

Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag wird sogar erst zu dem Zeitpunkt fällig, zu dem die Entscheidung, dass eine Beschäftigung vorliegt, unanfechtbar geworden ist, § 7a Abs. 6 S. 2 SGB IV. Das bedeutet, dass die Fälligkeit möglicherweise erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges eintritt.

 

Rz. 173

Bei der schwierigen Frage, ob Selbstständigkeit oder Scheinselbstständigkeit, d.h. eine Beschäftigung als Arbeitnehmer vorliegt, ist auf die Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit[131] zu § 7 Abs. 1 SGB IV abzustellen, die der nachfolgenden Checkliste zugrunde liegt.

 

Rz. 174

Checkliste: Scheinselbstständigkeit (abhängige Beschäftigung) oder tatsächliche Selbstständigkeit?

Merkmale für das Vorliegen abhängiger Beschäftigung als Arbeitnehmer im Bereich der Scheinselbstständigkeit sind:

1.

Persönliche Abhängigkeit, die sich

a) in der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers und/bzw.
b) Eingliederung in den Betrieb zeigt.
2. Fehlende Befugnis des Betroffenen, seine Arbeitsleistung auf andere Personen zu delegieren (Verpflichtung zur Erbringung der Leistung in eigener Person).
3.

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