Rz. 28
Die Zahlungsunfähigkeit ist in § 17 Abs. 2 S. 1 InsO legal definiert:
Zitat
§ 17 Zahlungsunfähigkeit
(1) (…)
(2) 1Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. 2Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.
Rz. 29
Grundsätzlich ist von einer Zahlungseinstellung auszugehen, wenn der Schuldner seine Zahlungen im Allgemeinen eingestellt hat. Dem BGH zufolge genügt hierzu bereits die Nichtzahlung eines erheblichen bzw. wesentlichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten:
Zitat
"Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus. Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist. Eigene Erklärungen des Schuldners, fällige Verbindlichkeiten nicht begleichen zu können, deuten auf eine Zahlungseinstellung hin, auch wenn sie mit einer Stundungsbitte versehen sind. Gleiches gilt, wenn der Schuldner infolge der ständigen verspäteten Begleichung seiner Verbindlichkeiten einen Forderungsrückstand vor sich hergeschoben hat und demzufolge ersichtlich am Rande des finanzwirtschaftlichen Abgrunds operierte. Aus Rechtsgründen genügt es, wenn die Zahlungseinstellung aufgrund der Nichtbezahlung nur einer – nicht unwesentlichen – Forderung gegenüber einer einzigen Person erkennbar wird. Für eine erfolgreiche Anfechtung muss das dann allerdings gerade der Anfechtungsgegner sein."
Rz. 30
Wann der Schuldner seine Zahlungen in vorstehendem Sinne eingestellt hat, ist für Außenstehende oftmals schwer erkennbar, es sei denn, der Schuldner hat gegenüber seinen Gläubigern ausdrücklich erklärt, generell keine weiteren Zahlungen erbringen zu können. Während derart eindeutige Erklärungen in Regelinsolvenzen die Ausnahme sein dürften, kommt es in Nachlassinsolvenzen häufig vor, dass Erben oder für diese bestellte Nachlasspfleger den Gläubigern mitteilen, sie könnten angesichts unklarer Vermögensverhältnisse oder aufgrund mutmaßlicher Überschuldung bis auf weiteres keine Nachlassverbindlichkeiten befriedigen. Soweit solche Erklärungen innerhalb der ersten drei Monate nach dem Erbfall abgegeben werden, ist zu beachten, dass Erben bzw. an ihrer Stelle handelnde Nachlasspfleger, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter gemäß § 2014 BGB die sog. Dreimonatseinrede haben. Danach können die Genannten die Befriedigung einer Nachlassverbindlichkeit in den ersten drei Monaten nach Erbschaftsannahme bzw. Bestallung ohne weiteres verweigern. Diese Vorschrift soll den Betreffenden – mit Rücksicht auf § 1979 BGB – die Möglichkeit geben, sich zunächst einen verlässlichen Überblick über die tatsächlichen Verhältnisse und insbesondere über die Frage der Zulänglichkeit des Nachlasses zu verschaffen. Daraus, dass Erben oder Nachlasspfleger von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, können Gläubiger daher nicht automatisch auf eine Zahlungseinstellung i.S.v. § 17 Abs. 2 InsO schließen. Allerdings ist zu beachten, dass § 2014 BGB nach h.M. keine materiell-rechtliche, sondern ausschließlich prozessuale Wirkung entfaltet. Die Erhebung der Einrede beseitigt daher nicht die Fälligkeit der betreffenden Forderungen oder den Eintritt bzw. das Vorliegen von Schuldnerverzug i.S.v. § 286 BGB. Aus einer Zahlungsverweigerung durch einen Erben oder Nachlasspfleger kann aber jedenfalls auch schon innerhalb der Frist des § 2014 BGB auf eine Zahlungseinstellung geschlossen werden, wenn der Nachlass offensichtlich überschuldet ist und der Nachlasspfleger oder ein vorläufiger Erbe erkennbar aus diesem Grund keine Zahlungen erbringt.
Rz. 31
Soweit keine tatbestandsmäßige Zahlungseinstellung vorliegt, muss die Zahlungsunfähigkeit anhand objektiver Kriterien ermittelt werden. Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 1 InsO ist nach der jüngsten Grundsatzentscheidung des BGH grundsätzlich gegeben, wenn der Schuldner am Prüfungsstichtag nicht mindestens 90 % seiner fälligen Verbindlichkeiten bedienen kann und diese Liquiditätslücke nicht innerhalb von drei Wochen geschlossen werden kann, wobei auch alle in dem Dreiwochenzeitraum neu fällig werdenden Verbindlichkeiten mit in die dynamische Liquiditätsbetrachtung einzubeziehen sind.
Dagegen ist von Zahlungsfähigkeit auszugehen, wenn eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten beträgt, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird.
Rz. 32
Praxistipp
Durch die Festlegung des Grenzkriteriums bei 10 % Liquiditätsunterdeckung ist auch ein gemäß § 1980 BGB antragspflichtiger Erbe mittelbar verpflichtet, sich zu jedem Zeitpunkt darüber im Kla...