I. Rechtsschutz, Anwaltsdichte sowie "Prozessflut"
Rz. 27
Das Thema "Rechtsschutzversicherung" wird insbesondere aus dem Blickwinkel der Justiz zum einen häufig gesehen unter dem Stichwort "Prozessflut". Zum anderen werden die Begriffe "Prozessflut" und "Anwaltsschwemme" in Verbindung gebracht, und zwischen beiden wird ein Kausalzusammenhang hergestellt: "Immer mehr Rechtsanwälte erzeugen immer mehr – unnötige – Prozesse, finanziert von Rechtsschutzversicherungen, die ihren Versicherungsnehmern durch die Prozessführung – zum Nulltarif – zu einem unverdienten Lustgewinn verhelfen."
II. Statistische Aussagen
Rz. 28
Es ist nahe liegend, statistisch zu vergleichen, in welchem Verhältnis Neuzugänge bei den Land- bzw. Amtsgerichten, speziell in Bußgeldsachen, stehen zur Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte und zum Prämienaufkommen der Rechtsschutzversicherungen bzw. der Zahl der Schadenfälle (Statistiken dazu siehe § 4 Rn 5, 11).
III. Analyse der statistischen Zahlen
Rz. 29
Eine Analyse der Zahlen zeigt, dass die Dichte der Rechtsschutzversicherung nicht die Ursache ist für die sog. "Prozessfreudigkeit". Vielmehr muss es hierfür verschiedene andere Gründe geben. Nach van Bühren führt die sich immer mehr ausprägende Mündigkeit der Bürger dazu, dass diese sich gegen die Übermacht des Staates, aber auch gegen mächtige Firmen und Banken mit Erfolg zur Wehr setzen können, und dass darüber hinaus die Gesetzesflut zu einer immer größeren "Verrechtlichung" des Alltags führt. Für den Verkehrsbereich gilt sicherlich zusätzlich, dass in verkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren die Verwaltungsbehörden nicht zuletzt ein fiskalisches Interesse daran haben, "möglichst viele Verkehrsordnungswidrigkeiten zu erfassen". Milliardenbeträge aus Bußgeldern sind ein ebenso beliebter wie fester Bestandteil der öffentlichen Haushalte geworden. Wenn die Rechtsschutzversicherungen auch das Kostenrisiko in rechtlichen Auseinandersetzungen übernehmen, so tragen sie sicherlich auch zur vermehrten Inanspruchnahme der Gerichte bei, sind aber sicherlich nicht die entscheidende und überwiegende Ursache. Wenn die Neigung zu Rechthaberei und Prozesshanselei auch eine Fehlentwicklung darstellt, so kann jedoch nicht angenommen werden, dass diese durch die Rechtsschutzversicherung hervorgerufen oder gar gefördert wird. Vielmehr führen Rechtsschutzversicherungen für Private "zur Waffengleichheit" gegenüber Firmen und Institutionen, hinsichtlich deren die Prozesskosten oder das Kostenrisiko nur unter dem Gesichtspunkt der steuerlich relevanten Betriebskosten gesehen werden.
Rz. 30
Van Bühren vergleicht zu Recht Rechtsschutzversicherungen mit Krankenversicherungen, die abgeschlossen werden "mit der Intention, … von dieser Einrichtung nach Möglichkeit keinen Gebrauch zu machen. Der Vergleich mit Krankenversicherern ist aus mehreren Gründen nahe liegend: Die Zahlungen der Rechtsschutzversicherung und der Krankenversicherung fließen nicht dem Versicherten, sondern dem Arzt bzw. Anwalt (oder der Justiz) zu. Welcher Versicherte wird im Normalfall ein Interesse daran haben, sich den Unannehmlichkeiten eines Prozesses oder einer ärztlichen Behandlung zu unterziehen, nur um das Einkommen anderer zu vergrößern?"