Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
a) Fall 11
Rz. 66
Fall 11:
Der deutsche Erblasser verstirbt an seinem Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Er hinterlässt ein Grundstück in Frankreich.
aa) Bisherige Rechtslage
Rz. 67
Anwendbares Recht:
Über Art. 25 EGBGB war deutsches Recht anwendbar. An sich ist die Lösung damit beendet und deutsches Sachrecht findet Anwendung, der Erblasser wurde also nach deutschem Recht beerbt.
Rz. 68
An dieser Stelle kam aber noch ein weiterer Schritt hinzu: Dieser ergibt sich aus Art. 3a Abs. 2 EGBGB. Der Hintergrund dieser Regelung erschließt sich aus folgenden Überlegungen:
Es ist zunächst noch einmal an die Fälle oben zu denken, bei denen der Erblasser Ausländer ist und ein Grundstück in Deutschland hinterlässt. Wenn ein Ausländer nach ausländischem Recht beerbt wird, so muss das deutsche Grundbuch im Hinblick auf die neuen (sich aus dem ausländischen Recht ergebenden) Eigentumsverhältnisse berichtigt werden. Das stellt das Grundbuchamt vor die Aufgabe, die ausländische Erbfolge im deutschen Grundbuch abzubilden. Probleme ergeben sich, wenn das ausländische Recht Rechtsfiguren aufweist, die dem deutschen Recht unbekannt sind (wie z.B. dinglich wirkende Vermächtnisse).
Rz. 69
Das deutsche Recht nahm diese Probleme in Kauf. Andere Rechte nahmen diese Probleme nicht in Kauf, sondern vermieden sie, indem sie eine Sonderregel für Grundstücke schafften (so z.B. Frankreich): Die Erbfolge in Grundstücke richtete sich aus französischer Sicht nach dem Recht des Ortes, in dem das Grundstück liegt (Recht des Lageortes, lex rei sitae). Mit einer solchen Lösung wurde erreicht, dass das Erbrecht immer dem Recht entspricht, welches auch sonst für die Rechte an dem Grundstück maßgeblich ist. Das deutsche Recht entschied sich gegen eine solche Lösung, denn es trennte weder im EGBGB noch im BGB zwischen der Erbfolge in Grundstücke einerseits und derjenigen in andere Vermögensgegenstände andererseits.
Rz. 70
Es galt im deutschen Recht vielmehr der Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge (vgl. dazu §§ 1922, 1942 mit wenigen Ausnahmen – z.B. Höferecht), den das deutsche IPR übernahm. Art. 25 EGBGB trennte für die Erbfolge nicht in bewegliches und unbewegliches Vermögen (abgesehen von der hier irrelevanten Rechtswahlmöglichkeit, die Art. 25 Abs. 2 EGBGB eröffnete). Der vom deutschen Gesetzgeber gewählte Weg – Heimatrecht gilt für alle Nachlassgegenstände – hat vor allem den Vorzug der Einheitlichkeit der Anknüpfung. Der deutsche Gesetzgeber erkannte aber an, dass auch gute Argumente für eine Trennung bei der Anknüpfung sprechen. Er löste dieses Problem gewissermaßen mit einem Kompromiss, nämlich der Durchbrechung der Anknüpfung über Art. 25 EGBGB:
Das deutsche Recht ließ seine eigene Regel (Art. 25 Abs. 1 EGBGB = StA des Erblassers) dann zurücktreten, wenn das fremde Recht Sonderregeln für bestimmte Vermögensgegenstände (meist Grundstücke) vorsieht (Art. 3a Abs. 2 EGBGB).
Rz. 71
Zitat
Art. 3a Abs. 2 EGBGB im Wortlaut:
"Soweit Verweisungen im Dritten und Vierten Abschnitt das Vermögen einer Person dem Recht eines Staates unterstellen, beziehen sie sich nicht auf Gegenstände, die sich nicht in diesem Staat befinden und nach dem Recht des Staates, in dem sie sich befinden, besonderen Vorschriften unterliegen."
Tatbestand des Art. 3a Abs. 2 EGBGB (zerlegt in die einzelnen Tatbestandsmerkmale):
1) |
Soweit Verweisungen des Dritten und vierten Abschnitts (= eine "Verweisung" ist eine Norm des EGBGB) hier nämlich die Verweisung des Art. 25 in das Recht der StA des Erblassers, die sich im 4. Abschnitt befindet → übersetzt auf diesen Fall: Soweit Art. 25 das Vermögen (= den Nachlass) einer Person (= Erblasser) dem Recht eines Staates unterstellt (= StA → hier deutsche StA → also Deutschland) … eingeschoben … Rechtsfolge … (= beziehen sie sich nicht) |
2) |
auf Gegenstände, die sich nicht in diesem Staat befinden (= auf Nachlassgegenstände, die sich nicht in diesem Staat → dem Staat, auf den Art. 25 verwiesen hatte → hier Deutschland) |
3) |
und nach dem Recht des Staates, in dem sie sich befinden (= die nicht in Deutschland befindlichen Gegenstände liegen in einem anderen Staat und nach dem Recht des Landes, in dem der Gegenstand liegt – am Lageort → hier Frankreich)…. |
4) |
besonderen Vorschriften unterliegen (in Frankreich müsste es also eine besondere Vorschrift für Grundstücke im Zusammenhang mit der Erbfolge geben, die von der allgemeinen Vorschrift in Frankreich abweicht). |
Rz. 72
Zu klären war also: Gibt es im französischen Recht besondere Regelungen für Grundstücke?
Dabei war nicht nur auf das französische Sachrecht (Erbrecht), sondern gem. Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch auf das französische Kollisionsrecht zu achten. Damit ergab sich folgende Frage:
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Wie ist regelmäßig die Anknüpfung des französischen Rechts? → an den Wohnsitz; |
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Gibt es besondere Vorschriften für irgendwelche Gegenstände? Ja, für Grundstücke; bei diesen wird an den Lageort angeknüpft. Also liegt eine besondere Vorschrift vor. |
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Zwischenergebnis: Der Tatbestand des Art. 3a Abs. 2 EGBGB ist erfüllt, die Rechtsfolge gilt. |
→ also Rech...