Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 104
Fall 17:
Der Erblasser ist Franzose mit gewöhnlichem Aufenthalt/Wohnsitz in Deutschland. Er hatte seinen Sohn P enterbt. P will seinen Pflichtteilsanspruch gegen den Erben E geltend machen.
a) Bisherige Rechtslage
Rz. 105
Zuständigkeit:
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte war den Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit zu entnehmen (diese sind doppelfunktional). Zuständig war damit gem. §§ 12, 13 ZPO das Gericht am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten (hier also des Erben). Hatte der Erbe einen Wohnsitz in Deutschland, bestand die Zuständigkeit dort (je nach Streitwert war das Amtsgericht bzw. das Landgericht sachlich zuständig). Hatte der Erbe in Deutschland keinen Wohnsitz, so konnte er dennoch in Deutschland verklagt werden, sofern der besondere Gerichtsstand der Erbschaft des § 27 ZPO begründet war; dies war gegeben, wenn der Erblasser – wie hier – zum Zeitpunkt seines Todes in Deutschland seinen Wohnsitz hatte (auf die Staatsangehörigkeit kam es insofern nicht an).
Anwendbares Recht:
Das Prozessgericht prüfte zunächst die Frage des anwendbaren Rechts für den Pflichtteilsanspruch. Die Pflichtteilsansprüche richteten sich nach dem auf die Rechtsnachfolge anwendbaren Recht (weil es keine eigene Kollisionsnorm für Pflichtteilsansprüche gab). Das auch für das Pflichtteilsrecht maßgebliche Erbstatut war daher (über Art. 25 Abs. 1 EGBGB) französisches Recht; aber französisches IPR ist über Art. 4 Abs. 1 EGBGB beachtlich; dies sprach eine Rückverweisung auf deutsches Recht aus. Damit war deutsches Recht auch für den Pflichtteilsanspruch maßgeblich.
Umfasste der Nachlass auch Immobilien in Frankreich, kam es insofern dagegen nicht zu einer Rückverweisung, sondern es galt insoweit französisches Pflichtteilsrecht.
Rz. 106
Besonders unübersichtlich war die Rechtslage, wenn der Erblasser Schenkungen vorgenommen hatte, die gem. § 2325 BGB der Ergänzungspflicht unterliegen: Betrifft dann die Ergänzungspflicht nur die dem deutschen Recht unterliegenden Nachlassteile, oder wird auch das dem französischen Recht unterliegende Vermögen erfasst (siehe dazu § 5 Rn 16)?
Unabhängig von diesen Fragen ging es zunächst um die Durchsetzbarkeit der Entscheidung. Die Entscheidung des (deutschen) Prozessgerichts konnte der Pflichtteilsberechtigte unproblematisch in Deutschland (in das in Deutschland befindliche Vermögen des Erben) vollstrecken. Hatte der Erbe dagegen hier kein Vermögen (z.B. wenn er sich mit dem Nachlass sofort abgesetzt hatte), konnte eine Vollstreckung im Ausland möglicherweise gar nicht erfolgen. Das galt auch für die Mitgliedstaaten, denn die Brüssel I VO/I a VO – nach der sich ansonsten die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen der Mitgliedstaaten richtet – nimmt das Gebiet des Erbrechts ausdrücklich aus (ebenso die Brüssel II a VO und die Unterhalts-VO). Der Pflichtteilsberechtigte hatte also u.U. einen deutschen Titel erstritten, der sich in der Praxis als nutzlos erwies.
b) Rechtslage nach der ErbVO:
Rz. 107
Auch für das Pflichtteilsrecht ist die Anknüpfung auf das nach der ErbVO anwendbare Recht reduziert, es kommt nicht zur Nachlassspaltung, so dass auch für das Pflichtteilrecht künftig nur eine Rechtsordnung beachtlich ist.
Schwierigkeiten werden zukünftig auch vermieden, so weit es um die Vollstreckbarkeit in solches Vermögen geht, welches sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet als demjenigen, in dem die Entscheidung ergangen ist, denn Artt. 39, 43 ErbVO sehen die – unproblematische – Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Entscheidungen eines Mitgliedstaates in den übrigen Mitgliedstaaten vor.
Hinweis
Der Pflichtteilsberechtigte muss daher lediglich nach Art. 48 ErbVO vorgehen und die Vollstreckbarerklärung des Mitgliedstaates erwirken, in dem sich das Vermögen des Schuldners (Erbe) befindet. Er kann also das deutsche Urteil unproblematisch in allen Mitgliedstaaten vollstrecken.