Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 16
Fall 3:
Der deutsche Erblasser stirbt an seinem gewöhnlichen Aufenthalt in Cannes (Frankreich). Er hatte keine Verfügung von Todes wegen errichtet. Er hinterlässt Vermögen in Deutschland.
a) Bisherige Rechtslage
Rz. 17
Anwendbares Recht:
Da weder ein Staatsvertrag vorliegt und die ErbVO noch nicht anwendbar war, kam es zur Anknüpfung über Art. 25 Abs 1 EGBGB (Staatsangehörigkeit); deutsches Recht ist anwendbar (auf den gewöhnlichen Aufenthalt kommt es nicht an).
Überlegungen zum Verfahren:
Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 23a Abs. 2 S. 2 GVG (Amtsgericht).
Die örtliche Zuständigkeit ergab sich aus § 343 Abs. 2 FamFG (in der bisherigen Fassung) – der Erblasser hat in Deutschland weder Wohnsitz noch Aufenthalt – zuständig ist also das AG Schöneberg in Berlin.
Die internationale Zuständigkeit folgt der örtlichen Zuständigkeit, § 105 FamFG.
Rz. 18
Das Nachlassgericht erteilte einen "normalen" Erbschein. Dieser enthält nie Angaben über die Zusammensetzung des Nachlasses (vgl. § 2353), sondern gibt nur Folgendes an: Erblasser/Erbe(n)/Quoten; ggf. Beschränkungen (vgl. §§ 2363, 2364).
Der Erbschein würde also hier (z.B.) lauten:
Der E wird beerbt von F zu ½, von K1 und K2 zu je ¼.
Dieser deutsche Erbschein galt aber nach bisheriger Rechtslage – natürlich – nur in Deutschland (und auch nur in Deutschland entfaltete er öffentlichen Glauben, denn das deutsche Recht, das ihm den öffentlichen Glauben verleiht, machte "gewissermaßen" an der deutschen Grenze Halt).
Rz. 19
Wenn die Erben ihre Erbenstellung in Frankreich nachweisen wollten, so hat der französische Rechtsverkehr sich nicht mit dem deutschen Erbschein zufrieden gegeben. Die Erben haben daher im Regelfall für Frankreich einen französischen Erbschein benötigt (wobei aus Sicht des französischen Rechts dann das französische IPR bestimmt, nach welchem Recht der Erblasser beerbt wird. Da das französische IPR auf den Wohnsitz abstellte, wurde der E aus französischer Sicht nach französischem Recht beerbt).
b) Rechtslage nach der ErbVO
Rz. 20
Anwendbares Recht:
Gewöhnlicher Aufenthalt, also französisches Recht (Art. 21 ErbVO, und zwar französisches Sachrecht ohne französisches IPR), also französisches Erbrecht; aber Möglichkeit der Rechtswahl (der Erblasser hätte deutsches Recht wählen können).
Rz. 21
Zuständigkeit:
Gem. Art. 4 ErbVO sind die französischen Gerichte zuständig.
Anders als nach geltendem Recht, bei dem für deutsche Erblasser immer die deutsche Zuständigkeit eröffnet ist (siehe oben Rn 17), besteht nach der ErbVO keine generelle Zuständigkeit in Deutschland, sondern nur nach Artt. 5 ff. ErbVO bei Rechtswahl und Gerichtsstandsvereinbarung (oder Anerkennung). Eine subsidiäre Zuständigkeit für Deutschland gem. Art. 10 ErbVO scheidet hier ebenso aus wie eine Notzuständigkeit nach Art. 11 ErbVO, denn beide Vorschriften kommen nur in Betracht, wenn der letzte gewöhnliche Aufenthaltsort in einem Drittstaat lag – dann deutsche Staatsangehörigkeit als weitere Verbindung zu Deutschland, Art. 10 Buchstabe a ErbVO. Auch weitere Restzuständigkeiten kämen in diesem Falle in Betracht, (z.B.) in Italien, sofern sich dort Nachlassgegenstände befinden und E früher in Italien gelebt hatte (Art. 10 Buchst. b ErbVO; fünfjährige Frist ist zu beachten) oder z.B. in Spanien für dortige Nachlassgegenstände (Art 10 Abs. 2 ErbVO, wenn eine Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 1 ErbVO ausscheidet).
Daneben besteht die deutsche internationale Zuständigkeit zur Erteilung des Erbscheins – nicht des ENZ – gem. dem nationalen Recht, §§ 105, 343 Abs. 3 FamFG n.F.(vgl. § 2 Rn 25). Die deutsche internationale Zuständigkeit ist immer eröffnet, wenn der Erblasser Deutscher ist oder sich Nachlassgegenstände im Inland befinden. Damit ist die deutsche internationale Zuständigkeit – entgegen Art 10 Abs. 1 ErbVO auch ohne einen weiteren Berührungspunkt zu Deutschland eröffnet (vgl. § 343 Abs. 3 FamFG – die neue und die alte Fassung sind insoweit inhaltlich gleich, es reicht, wenn sich Nachlassgegenstände im Inland befinden. Zuständig ist das Amtsgericht Schöneberg in Berlin, es kann die Sache aus wichtigem Grund an ein anderes Nachlassgericht verweisen (z.B. wegen der Sachnähe an dasjenige, in dessen Bezirk sich das Vermögen befindet).