Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
aa) Überlegungen zum anwendbaren Recht
Rz. 8
Da keine Rechtswahl getroffen wurde, ist das anwendbare Recht über Art. 21 ErbVO (allgemeine Kollisionsnorm) zu bestimmen. Nach Art. 21 ErbVO kommt es auf den letzten gewöhnlichen Aufenthalt an. Der Erblasser hatte den gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, es ist also deutsches Recht berufen und zwar hinsichtlich des gesamten Nachlasses (weltweit, nicht nur hinsichtlich des Nachlasses in den Mitgliedstaaten).
bb) Überlegungen zur Zuständigkeit
Rz. 9
Die internationale Zuständigkeit ergibt sich ebenfalls aus der ErbVO (Art. 4), Deutschland ist zuständig (gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland). Die sachliche, örtliche und funktionelle Zuständigkeit ergibt sich (weiterhin) aus dem deutschen nationalen Recht, zukünftig aber nicht mehr allein aus dem FamFG, sondern aus § 47 Nr. 2 IntErbRVG (i.V.m. § 343 Abs. 1 FamFG n.F., Gericht am gewöhnlichen Aufenthalt). Ein Vorlagerecht des Rechtpflegers besteht nicht, da die ErbVO gewissermaßen deutsches Recht ist (die EU-Verordnungen gelten in Deutschland unmittelbar).
Es kann neben dem deutschen Erbschein ein ENZ beantragt und erteilt werden, wenn der Erblasser Vermögen im europäischen Ausland hinterlassen hatte, denn dann wird das ENZ "zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat" ausgestellt (Art. 62 Abs. 1 ErbVO). Liegt das Vermögen dagegen nur außerhalb der Mitgliedstaaten, scheidet ein ENZ aus (die Erteilung eines ENZ wäre auch sinnlos, weil es vom Rechtsverkehr der Drittstaaten nicht akzeptiert würde).
Hinweis
Bei Vermögen in einem Mitgliedstaat kann auch nur ein ENZ beantragt werden (und kein deutscher Erbschein), denn das ENZ kann auch im Inland verwendet werden.
Rz. 10
Lebte der Erblasser mit seinem Ehegatten im deutschen gesetzlichen Güterstand, so muss das ENZ mit der pauschalen Erhöhung "umgehen". Zunächst muss das Nachlassgericht (sei es, dass nur ein Erbschein beantragt wird, oder nur das ENZ, oder beide Nachweise) das Güterrechtsstatut klären. Dafür ist nicht auf die ErbVO abzustellen, weil diese den Bereich des Güterrechts ausklammert (siehe hierzu § 2 Rn 71 ff.). Auch zukünftig ist also – aus deutscher Sicht – Art. 15 EGBGB maßgeblich. Hatten die Ehegatten keine Rechtswahl getroffen (Art. 15 Abs. 2 EGBGB), gilt die (sogenannte) objektive Anknüpfung nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB i.V.m. Art. 14 Abs. 1 EGBGB. Waren beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung Deutsche, ist deutsches Recht Ehegüterrechtsstatut (Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB; Gleiches gilt im Falle einer anderen Staatsangehörigkeit des Ehegatten, sofern die Ehegatten bei der Eheschließung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten über Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB).
Rz. 11
Güterrechtsstatut ist also in diesem Fall deutsches Recht. Danach gilt der gesetzliche Güterstand, sofern die Ehegatten nicht durch Ehevertrag etwas anderes vereinbart hatten (§ 1363 BGB) und damit erhöht sich die Erbquote der Ehefrau von ¼ (gem. § 1931 Abs. 1 S. 1 BGB – neben den Kindern) um das pauschale Viertel (§ 1931 Abs. 3 BGB i.V.m. § 1371 BGB). Das ENZ gibt die Quote der Ehefrau mit ¼ an; aus Gründen der Klarstellung muss aber mindestens (vgl. zur Fassung des ENZ in einem solche Fall § 2 Rn 71) ein Hinweis im ENZ darauf erfolgen, dass nach dem – anwendbaren – deutschen Recht diese Quote um das weitere Viertel erhöht ist. Innerhalb Deutschlands ist die Verwendung eines solchen ENZ zumindest nicht unproblematisch, denn die Gutglaubenswirkungen des ENZ können sich auf einen solchen Hinweis jedenfalls nicht erstrecken. Es ist auch nicht absehbar, wie etwa das Grundbuchamt mit einem solchen ENZ umgehen wird; es liegt nahe, dass das Grundbuchamt in einem solchen Fall den Erbschein verlangt und die Grundbuchberichtigung nicht vorgenommen wird, wenn nur das ENZ vorgelegt wird. Denn wenn das Grundbuchamt erkennt (wie es regelmäßig der Fall sein wird), dass die im ENZ angegebene Quote lückenhaft ist, kann es nicht sehenden Auges das Grundbuch entsprechend umschreiben. Allerdings sind die Erbquoten im Grundbuch nicht anzugeben, sodass sich das Grundbuchamt unter diesem Aspekt mit der Vorlage des ENZ begnügen kann.
Rz. 12
Praxistipp
In einem derartigen Fall empfiehlt sich folgendes Vorgehen:
Es wird (zunächst) nur der deutsche Erbschein beantragt (Vorteil: größere Akzeptanz in Deutschland als das ENZ – zumindest in der "Frühzeit" der Anwendbarkeit der ErbVO), allerdings ohne den Antrag gem. § 2369 BGB bisherige Fassung (bzw. dann gem. dem gleich lautenden § 352 c FamFG n.F.) – (BGB-Vorschriften werden z.T. in das FamFG überführt, vgl. § 2 Rn 7) zu beschränken. Dann weist er die Erbfolge in das gesamte Vermögen aus, nicht nur beschränkt auf das in Deutschland befindliche Vermögen. Nun kann versucht werden, den deutschen Erbschein unmittelbar auch in den Mitgliedstaaten zu verwenden, in denen sich Vermögen befindet (für die Akzeptanz dort ist auf Art. 39 Abs. 1 ErbVO – Anerkennung von Entscheidungen – zu pochen).Verlangt der Rechtsverkehr in einem Mitgliedstaat dennoch das ENZ, kann dieses (auch) nachträglich no...