Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 63
Fall 10:
Der türkische Erblasser T verstirbt an seinem Wohnsitz in Berlin. Er hinterlässt bewegliches und unbewegliches Vermögen sowohl in Deutschland als auch in der Türkei.
aa) Bisherige Rechtslage
Rz. 64
Anwendbares Recht:
Es gibt zwischen der Türkei und Deutschland einen bilateralen Staatsvertrag (Konsularvertrag vom 28.5.1929, Abdruck im Anhang siehe § 7 Rn 5; siehe auch § 2 Rn 403, 405). Wegen des vorrangigen Staatsvertrages (Art. 3 EGBGB) war Art. 25 Abs 1 EGBGB nicht anwendbar, sondern das anwendbare Recht wurde hier unmittelbar über den Staatsvertrag (§ 14 der Anlage zu Art. 20 des Vertrages) bestimmt (Nachlassabkommen). Nach § 14 Abs. 1 des Abkommens vererbt sich der bewegliche Nachlass nach dem Heimatrecht des Erblassers, also nach türkischem Recht (das gilt auch für den beweglichen Nachlass in Deutschland). Das Grundvermögen wird gem. § 14 Abs. 2 des Abkommens nach dem Recht des Lageortes vererbt, das Grundvermögen in der Türkei also nach türkischem, dasjenige in Deutschland dagegen nach deutschem Recht.
Verfahren/Erbschein: Die deutsche Zuständigkeit war über §§ 105, 343 Abs. 1 FamFG begründet (Wohnsitz; das vorrangige Abkommen regelt nur die streitige Gerichtsbarkeit, vgl. § 2 Rn 406). Der deutsche Erbschein wies die Erbfolge nach deutschem und türkischem Recht aus, es war zwischen beweglichem und unbeweglichem Nachlass zu trennen. Es wurde i.d.R. in solchen Fällen nur ein Erbschein – sozusagen ein "gemischter" – erteilt. Die Formulierung des Erbscheins hat das NLG davon abhängig gemacht, ob die Erbquoten vielleicht (zufällig) identisch waren (das konnte z.B. in Frage kommen, wenn nur Abkömmlinge zur Erbfolge gelangen), dann wurde die Erbfolge nur einmal genannt. War sie verschieden, wurde sie jeweils gesondert – für den unbeweglichen/beweglichen Nachlass – aufgeführt.
Der deutsche Erbschein wird gem. § 17 des Nachlassabkommens in der Türkei anerkannt, soweit er den beweglichen Nachlass betrifft.
bb) Rechtslage unter Anwendung der ErbVO
Rz. 65
Nach Art. 75 Abs. 1 ErbVO genießt das Nachlassabkommen Vorrang vor den Regelungen der ErbVO.
Da das Nachlassabkommen die internationale Zuständigkeit nur bei Streitverfahren regelt, besteht für Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Lücke. Insoweit kann auf die Regelungen der ErbVO zurückgegriffen werden. Nach Art. 4 ErbVO besteht also die Zuständigkeit der deutschen Gerichte wegen des gewöhnlichen Aufenthalts des türkischen Erblassers in Deutschland.
Das anwendbare Recht richtet sich auch nach Anwendbarkeit der ErbVO – weiterhin – nach den Bestimmungen des Nachlassabkommens (sofern es zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht gekündigt ist), nicht nach der ErbVO; es ist weiterhin das Heimatrecht für bewegliche Nachlassgegenstände maßgeblich, das Recht des Lageorts für den unbeweglichen Nachlass, das heißt es kommt – entgegen dem Anliegen der ErbVO – auch weiterhin zur Nachlassspaltung. (Zu den Problemen beim Vorrang von Staatsverträgen siehe § 2 Rn 395).