Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
1. Fall 1
Rz. 1
Fall 1:
Der deutsche Erblasser E mit gewöhnlichem Aufenthalt/Wohnsitz in Deutschland stirbt an seinem Urlaubsort in Spanien an einem Herzanfall. Er hatte keine Verfügung von Todes wegen errichtet. Seine Ehefrau möchte einen Erbschein für sich und die beiden Kinder beantragen.
Bei der Lösung ist (sowohl nach früherer Rechtslage als auch nach Anwendbarkeit der ErbVO) stets zwischen der Frage des anwendbaren Rechts und Fragen zum Verfahren zu unterscheiden. Da hier ein Erbschein beantragt werden soll, muss auch geklärt werden, welches Gericht den Erbschein erteilt.
a) Bisherige Rechtslage
aa) Überlegungen zum anwendbaren Recht
Rz. 2
Da sich der Sterbeort im Ausland befand, liegt ein Fall mit Auslandsbezug vor (Art. 3 Abs. 1 EGBGB). Zu klären ist an dieser Stelle jeweils, ob einschlägige Staatsverträge vorliegen oder vorrangiges EU-Recht (Art. 3 Abs. 2 EGBGB). Die ErbVO war zwar in Kraft, jedoch noch nicht anwendbar; ein Staatsvertrag Deutschland/Spanien liegt nicht vor.
Praxistipp
Im Erbrecht gibt es nur die völkerrechtlichen Vereinbarungen mit der Türkei, dem Iran und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion; will man in anderen Fällen ansonsten feststellen, ob einschlägige Staatsverträge vorliegen, bietet sich für eine schnelle Klärung neben der einschlägigen Kommentarliteratur die Textausgabe zum Internationalen Privat- und Verfahrensrecht von Jayme/Hausmann (Herausgeber) an. Die Textsammlung erscheint periodisch, sie gibt sowohl Staatsverträge als auch EU-Recht an, jeweils gesondert nach Sachgebieten; sie ist klein und handlich (Taschenbuchformat).
Die Recherche im Internet gestaltet sich bisweilen schwierig, weil die Suche mitunter auf die Seiten von privaten Anbietern führt.
EG Verordnungen können unter http://eur-lex.europa.eu gesucht werden; es bietet sich für aktuelle Informationen auch die Internetseite des Bundesjustizministeriums an: http://www.bmj.bund.de
Die übrigen EU-Verordnungen betreffen das Gebiet des Erbrechts nicht, also erfolgt die Anknüpfung über Art. 25 Abs. 1 EGBGB (vgl. Art. 3 letzter Hs. EGBGB). Es kommt auf die Staatsangehörigkeit des Erblassers an (nicht auf den Sterbeort, Wohnsitz oder Aufenthalt). Deutsches Recht ist also Erbstatut, die Erbfolge richtet sich nach §§ 1924 ff. BGB.
bb) Überlegungen zum Verfahren
Rz. 3
Das Nachlassgericht (NLG) erteilt den Erbschein (vgl. § 2353 BGB). Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach § 23a Abs. 2 S. 2 GVG (Amtsgericht), die örtliche Zuständigkeit nach § 343 FamFG alte Fassung (nur insoweit war der letzte Wohnsitz von Belang, nicht aber für die Frage des anwendbaren Rechts; das richtete sich allein nach der Staatsangehörigkeit; der Wohnsitz gem. § 7 BGB wird sich regelmäßig mit dem gewöhnlichen Aufenthalt decken). Vorab ist aber (wie bei jedem Fall mit Auslandsbezug) die Internationale Zuständigkeit (der deutschen Gerichte) zu klären.
Rz. 4
Es gab dazu kein "Internationales Gesetz" im Sinne einer weltweit geltenden Regelung (etwa vergleichbar mit dem Völkerrecht), sondern jeder Staat regelte selbst, wann seine Gerichte international zuständig sind, die Frage der internationalen Zuständigkeit war daher dem Verfahrensrecht zu entnehmen, dem das Gericht unterliegt. Die Frage der internationalen Zuständigkeit eines deutschen Gerichts richtete sich nach dem einschlägigen deutschen Verfahrensrecht (ZPO/FamFG); bei der Zuständigkeit im Erbscheinsverfahren also nicht nach der ZPO, sondern nach dem FamFG.
Die internationale Zuständigkeit ergab sich hier aus §§ 98 ff. FamFG. Da das Erbscheinsverfahren nicht ausdrücklich aufgeführt ist, galt insoweit die Regelung des § 105 FamFG für "andere Verfahren". Die Zuständigkeit ergab sich deshalb aus § 343 FamFG (in Verbindung mit § 105 FamFG). Ein deutsches Gericht war international zuständig, wenn die örtliche Zuständigkeit vorlag.
Rz. 5
Das (international und örtlich) zuständige Gericht – bislang – am letzten Wohnsitz des Erblassers (§ 343 Abs. 1 FamFG;) erteilt einen "normalen" Erbschein. Funktionell zuständig ist der Rechtspfleger, weil kein Richtervorbehalt eingreift, insbesondere nicht § 16 Abs. 1 Nr. 6 RpflG, denn die Anwendung ausländischen Rechts kommt nicht in Betracht.
§ 5 Abs. 1 RpflG sieht eine Vorlagepflicht des Rechtspflegers an den Richter bei internationalen Erbfällen nicht vor; vielmehr gibt § 5 Abs. 2 RpflG dem Rechtspfleger nur ein Vorlagerecht, wenn die Anwendung ausländischen Rechts in Betracht kommt. Für den Richter, dem der Rechtspfleger eine "Sache" vorgelegt hat, gilt dann § 5 Abs. 3 RpflG, d.h. der Richter kann die Sache insbesondere an den Rechtspfleger zurückgeben.
Aus § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG ergibt sich jedoch ein Richtervorbehalt bei der Erteilung des Erbscheins, wenn die Anwendung ausländischen Rechts in Betracht kommt.
Rz. 6
Hatte der Erblasser Vermögen im Ausland, so bestand die Internationale Zuständigkeit des deutschen Nachlassgerichts auch im Hinblick auf das ausländische Vermögen (über §§ 105, 343 FamFG); und zwar über das Vermögen weltweit, also auch nicht etwa nur begrenzt auf das Vermögen in den Mit...