I. Zivilrecht
Rz. 60
Der Nachlass geht im Wege der Universalsukzession auf den oder die Erben über, § 1922 BGB. Kenntnis der Erben oder gar eine Annahmehandlung ist dazu nicht erforderlich. Will der Erbe den Anfall der Erbschaft nicht, kann er diesen mit ex tunc-Wirkung durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht innerhalb von sechs Wochen ab Kenntnis von dem Erbanfall bzw. ab Bekanntgabe einer Verfügung von Todes wegen ausschlagen, §§ 1942 ff. BGB.
Rz. 61
Auch ein Vermächtnis kann – mit ex tunc-Wirkung – ausgeschlagen werden, wobei hier die Ausschlagung nicht fristgebunden ist und durch Erklärung gegenüber dem Beschwerten erfolgt, § 2180 Abs. 1, 2 BGB. Die Ausschlagung eines Vermächtnisses spielt in der erbrechtlichen Praxis z.B. im Rahmen des § 2307 BGB eine Rolle.
II. Ausschlagung als steuerliches Gestaltungsmittel
Rz. 62
Mit der Erbausschlagung selbst kann nicht gesteuert werden, wem der (ausgeschlagene) Nachlass als Nächstberufenen anfällt.
Hinweis
Bei der Erbausschlagung als steuerlichem Gestaltungsmittel ist besondere Vorsicht geboten. Diese kommt als steuerliches Gestaltungsmittel nur in Betracht, wenn die nächstberufene Person ohne jeden Zweifel feststeht. In diesem Zusammenhang bestehende Irrtümer können gegebenenfalls noch durch eine Anfechtung der Ausschlagung gem. § 1954 BGB korrigiert werden.
1. Korrektur des Berliner Testaments
Rz. 63
In der Praxis werden die erbschaftsteuerlichen Nachteile des sog. Berliner Testaments (siehe § 2 Rdn 2>) häufig erst nach dem ersten Erbfall erkannt. Durch eine Ausschlagung des Erbanfalls durch den überlebenden Ehegatten erhält dieser einen Anspruch auf Ausgleich des konkreten Zugewinns und den sog. kleinen Pflichtteil, § 1371 Abs. 2, 3 BGB. Gemäß § 5 Abs. 2 ErbStG gehört die Ausgleichsforderung i.S.d. § 1378 BGB nicht zum erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb (siehe Rdn 89>). Ist der Erbschaftsteuerfreibetrag beispielsweise wegen lebzeitiger Schenkungen nach § 14 ErbStG "verbraucht" (siehe § 7 Rdn 1 ff.>), kommt eine Ausschlagung in Betracht. Zudem werden so grundsätzlich die Freibeträge der gemeinsamen Abkömmlinge nach dem Erstversterbenden genutzt. Zu beachten ist dabei, dass im Testament eine entsprechende Ersatzerbfolge zugunsten der Schlusserben angeordnet ist.
2. Schenkungsteuer und Ausschlagung
Rz. 64
Eine Ausschlagung stellt – auch wenn diese zu einer vom Ausschlagenden gewollten Vermögensmehrung beim (nächsten) Erben führt – nach § 517 BGB keine Schenkung dar. Dementsprechend liegt kein schenkungsteuerpflichtiger Erwerb vor.
3. Annahme der Erbschaft
Rz. 65
Hat der Erbe die Erbschaft angenommen oder läuft die Ausschlagung (z.B. wegen Fristversäumnisses i.S.d. § 1943 BGB) leer, ist bei ihm die Erbschaftsteuer gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bereits entstanden. Die entsprechende Steuerschuld bleibt dann endgültig bestehen, auch wenn der Erbe nachträglich auf das Erbe verzichtet oder dieses im Wege des Erbschaftskaufs (§§ 2371 ff. BGB) veräußert. Beim Verzicht handelt es sich um eine steuerpflichtige Zuwendung an den Empfänger, so dass zwei steuerpflichte Erwerbe vorliegen: ein erbschaftsteuerpflichtiger Erwerb beim Erben und ein schenkungsteuerpflichtiger Erwerb beim Begünstigten des Verzichts. Hieran ändert sich auch nichts, wenn der Begünstigte im Falle einer wirksamen Ausschlagung gem. § 1942 BGB Erbe geworden wäre.
4. Nacherbenausschlagung vor dem Nacherbfall, § 2142 Abs. 1 BGB
Rz. 66
Ein Nacherbe kann als Erbe des Erblassers die Erbschaft gem. § 2142 Abs. 1 BGB auch schon vor Eintritt des Nacherbfalls ausschlagen. Eine hierfür geleistete Abfindung stellt einen erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb von Todes wegen vom Erblasser dar, § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG. Die Besteuerung des Erwerbs richtet sich analog zu § 7 Abs. 2 ErbStG nach § 6 Abs. 2 ErbStG.
5. Ausschlagung gegen Abfindung
a) Steuerbarkeit der Abfindung
Rz. 67
Eine Abfindung, die dem Erben für die Ausschlagung gewährt wird, ist vom Ausschlagenden wie ein Erwerb vom Erblasser als Erwerb von Todes wegen zu versteuern, § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG.
b) Entstehung der Steuer für die Abfindung
Rz. 68
Die Steuer für die Abfindung entsteht gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. f ErbStG erst mit dem Zeitpunkt der Ausschlagung, obwohl gem. § 1953 Abs. 2 BGB der Anfall als mit dem Erbfall erfolgt fingiert wird. Der Zeitpunkt der Erfüllung der Abfindung ist dagegen unbeachtlich. Der Ausschlagende kann somit einen zeitverzögerten Erwerb gestalten. Auf diese Weise lässt sich in Einzelfällen eine Berücksichtigung früherer Erwerbe i.S.d. § 14 ErbStG (siehe § 7 Rdn 1 ff.>) vermeiden. Allerdings wird dies – anders als im Pflichtteilsrecht (siehe Rdn 20>) – wegen der kurzen Frist des § 1944 BGB nur in seltenen Fällen eine Rolle spielen.
c) Gegenstand und Höhe der Abfindung
Rz. 69
Bei einer Abfindung, die den wirtschaftlichen Wert der Erbschaft erheblich übersteigt, kann eine freigiebige Zuwendung an den Ausschlagenden i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG vorliegen. Steuerpflichtig ist in diesem Fall der Mehrwert, der sich nicht nach steuerlichen, sondern nach bürgerlich-rechtlichen Bewertungsmaßstäb...