I. Allgemeines
Rz. 99
Das Erbschaftsteuerrecht setzt beim steuerpflichtigen Erwerb grundsätzlich bei der Bereicherung des Erwerbers an. Als Bereicherung gilt der Betrag, der sich ergibt, wenn von dem nach den steuerlichen Bewertungsregeln nach § 12 BewG zu ermittelnden Wert (siehe § 8 Rdn 11 ff.>) der gesamten Nachlassmasse die abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden, § 10 Abs. 1 S. 1 und 2 ErbStG. Dies entspricht dem erbschaftsteuerlichen Nettoprinzip, das der Besteuerung des Erwerbs zugrunde liegt und für die Besteuerung den Saldo zwischen dem Wert des Vermögensanfalls und dem Wert der mit dem Erwerb verbundenen Erwerbsschmälerung als Bereicherung heranzieht.
Rz. 100
Abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten i.S.d. § 10 Abs. 5 ErbStG lassen sich in drei Typen einteilen:
Rz. 101
Neben den Nachlassverbindlichkeiten i.S.d. § 10 Abs. 5 ErbStG kommen als Erwerbsminderungen insbesondere zivilrechtlich wegen Konfusion erloschene Pflichtteilsverbindlichkeiten gem. § 10 Abs. 3 ErbStG (siehe Rdn 16 ff.>) und sittliche Verpflichtungen in Betracht.
II. Erblasserschulden (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG)
Rz. 102
Erblasserschulden i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind "vom Erblasser herrührende" Verbindlichkeiten. Abzugsberechtigt sind nur die Erben, da nur diese universalsukzessiv in die Verpflichtungen eintreten, §§ 1922, 1967 BGB. Unbeachtlich ist der Rechtsgrund, auf dem die Verbindlichkeiten beruhen. In Betracht kommen vertragliche wie auch gesetzliche Ansprüche. Ihre Bewertung richtet sich nach § 12 Abs. 1 ErbStG. Geldforderungen beispielsweise sind gem. § 12 Abs. 1 S. 1 BewG mit dem Nennwert anzusetzen.
Rz. 103
Unbeachtlich ist auch, ob die Schulden schon zu Lebzeiten des Erblassers entstanden waren oder erst mit oder nach dem Erbfall entstehen, sofern bereits zu Lebzeiten des Erblassers der Grund für diese gelegt war. In Betracht kommen etwa Mietzinsschulden, die den Zeitraum nach dem Erbfall betreffen, wobei deren Abzugsfähigkeit auf die Zeit bis zum ersten zivilrechtlich möglichen Kündigungstermin durch die Erben als Rechtsnachfolger beschränkt ist.
Rz. 104
Auch die Zugewinnausgleichsschuld (siehe Rdn 89>) stellt – obwohl sie erst zum Zeitpunkt des Todes des Ehegatten entsteht (§ 1378 Abs. 3 S. 1 BGB) und vorher eine bloße Erwerbschance darstellt – eine erwerbsmindernde Erblasserschuld dar. Der BFH begründet dies damit, dass der Anspruch des (enterbten und nicht vermächtnisweise bedachten) überlebenden Ehegatten aus einem Dauerschuldverhältnis herrührt, in dem der Erblasser zu seinen Lebzeiten stand und das sich zum Zeitpunkt seines Todes zu der Ausgleichsforderung verdichtet hat.
Rz. 105
Die Ausgleichsforderung als Geldforderung ist grundsätzlich mit ihrem Nennwert abzuziehen, § 12 Abs. 1 BewG. Einigen sich der Erbe und der Ausgleichsberechtigte allerdings vergleichsweise über die Höhe des Zugewinnausgleichs, sind die Grundsätze zum Erbvergleich (siehe § 4 Rdn 102 ff.>) nicht übertragbar. Denn der Ausgleichsanspruch hat seinen Rechtsgrund nicht im Erbrecht, sondern im ehelichen Güterrecht. Die Ausgleichsverpflichtung ist also auch in diesem Fall mit dem Nennwert anzusetzen.
Rz. 106
Schadensersatzansprüche aus Vertragsverletzung i.S.d. §§ 280 ff. BGB oder aus Delikt i.S.d. §§ 823 ff. BGB, die aus einer Pflichtverletzung des Erblassers herrühren, sind abzugsfähig, (auch) wenn der Schaden (mithin der Anspruch selber) erst nach dem Erbfall entstanden ist.
Rz. 107
In der Praxis spielt die Behandlung privater Einkommensteuerschulden des Erblassers eine große Rolle. Einkommensteuerschulden aus Veranlagungszeiträumen (Kalenderjahren), die vor dem Todeszeitpunkt des Erblassers endeten, sind unabhängig davon, ob sie am Todeszeitpunkt des Erblassers bereits festgesetzt waren oder nicht, als Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig. Die bereits entstandenen Einkommensteuerschulden gehen gem. § 45 AO auf den Erben über. Verstirbt ein Erblasser 2017, sind Einkommensteuerschulden aus 2016 und den Vorjahren stets erwerbsmindernd zu berücksichtigen.
Rz. 108
Einkommensteuerschulden, die den Veranlagungszeitraum betreffen, in dem der Erblasser verstorben ist, sind nach Ansicht der Finanzverwaltung nicht als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig. Diese Ansicht begründet sich in §§ 36 Abs. 1, 25 Abs. 1 AO, wonach die Einkommensteuer erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entsteht und der Abzug einer vom Erblasser herrührenden Schuld deren rechtliches Bestehen im Todeszeitpunkt des Erblassers voraussetzt. Der BFH hingegen bejaht die Abzugsfähigkeit.
Rz. 109
Die den Erblasser betreffenden Einkommensteuer-Vorauszahlungen, die bis zum Todeszeitpunkt des Erblassers bereits festgesetzt und entstanden sind, vom Erblasser aber nicht entrichtet waren, sind abzugsfähig. Die Einkommensteuer-Vorauszahlungen entstehen nämlich jeweils mi...