Rz. 64

Wer durch einen Erbverzicht von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wird, ist jedoch rechnerisch bei der Bestimmung der Pflichtteilsquoten nicht mitzuzählen. Der Gesetzgeber hat dies damit gerechtfertigt, dass ein solcher Erbverzicht i.d.R. gegen eine Abfindung erklärt wird und deren Wert daher später im Nachlass fehle.[121] Aus Gründen der Rechtssicherheit und Vereinfachung ist allerdings die Anwendung dieser Zählregel unabhängig davon, ob und in welcher Höhe tatsächlich eine solche Abfindung geleistet wurde.[122] Die Regelung des § 2310 S. 2 BGB führt somit dazu, dass ein Erbverzicht den anderen Pflichtteilsberechtigten zugute kommt, da dadurch deren gesetzliche Erb- und damit auch Pflichtteilsquoten sich entsprechend erhöhen.[123]

 

Rz. 65

Auf diese Rechtsfolge hat der Urkundsnotar grundsätzlich hinzuweisen (§ 17 BeurkG), ansonsten kann er sich haftbar machen.[124]

 

Rz. 66

§ 2310 S. 2 BGB ist nicht anwendbar, wenn lediglich ein Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) abgegeben wird, da dadurch gerade die Verfügungsfreiheit des Erblassers erweitert werden soll.[125] Dagegen ist mitzuzählen auch der, der einen Erbverzicht unter "Pflichtteilsvorbehalt" abgab, weil sonst die Pflichtteilsquote des Verzichtenden nicht berechenbar wäre.[126] Erstreckt sich der Erbverzicht entgegen der Vermutung des § 2349 BGB nicht auf die Abkömmlinge, so sind diese entsprechend ihrem Eintrittsrecht (§ 1924 Abs. 3 BGB) zu berücksichtigen.[127]

 

Beispiel

Witwer W hinterlässt vier Kinder, A, B, C und D. Der Nachlass hat einen Wert von 180.000 EUR, Erbe sind C und der Familienfremde F je zu ½. A hat auf den Erbteil, B nur auf den Pflichtteil verzichtet. C, der keine Abkömmlinge besitzt, hat die Erbschaft voreilig ausgeschlagen. Wie hoch ist der Pflichtteilsanspruch?

Die Pflichtteilsquote beträgt 1/6, da A wegen des Erbverzichts nicht mitgezählt wird (§ 2310 S. 2 BGB). Die D hat einen Pflichtteilsanspruch i.H.v. 30.000 EUR, B und C infolge des Pflichtteilsverzichts bzw. der Ausschlagung des unbelasteten Erbteils keinen.

[121] Prot. V, S. 611; eingehend zur Entstehungsgeschichte Staudinger/Haas (Neubearb. 2006), § 2310 Rn 15.
[122] Prot. V, S. 611; Motive V, S. 404; Planck/Greiff, § 2310 Anm. 1; Soergel/Dieckmann, § 2310 Rn 3; MüKo-BGB/Lange, § 2310 Rn 7.
[123] Staudinger/Otte, § 2310 Rn 14; Soergel/Dieckmann, § 2310 Rn 3, 11; Wirner, MittBayNot 1984, 13; Ebenroth, Erbrecht, Rn 366, 941; zu den praktischen Problemen bei der Nachfolgeplanung Ebenroth/Fuhrmann, BB 1989, 2049, 2054.
[124] OLG Hamm VersR 1981, 1037, 1038.
[125] BGH NJW 1982, 2497; BGB-RGRK/Johannsen, § 2310 Rn 5; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 37 Fn 201 m.w.N. Dies gilt auch bei gleichzeitiger Enterbung des Verzichtenden, auch wenn dies dem Erbverzicht nahe kommt, Soergel/Dieckmann, § 2310 Rn 11. Für differenzierende Anwendung des S. 2: Rheinbay, Erbverzicht – Abfindung – Pflichtteilsergänzung, 1983, S. 161 f.
[126] Staudinger/Otte, § 2310 Rn 17; ebenso mit abweichender Begründung Soergel/Dieckmann, § 2310 Rn 11; MüKo-BGB/Lange, § 2310 Rn 7; Ebenroth, Erbrecht, Rn 941.
[127] Soergel/Dieckmann, § 2310 Rn 11; Staudinger/Otte, § 2310 Rn 18.

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