Dr. iur. Stephanie Herzog
Rz. 35
Solange die Ausschlagungsfrist noch läuft, besteht auch beim überschuldeten Nachlass jedenfalls keine Insolvenzantragspflicht (siehe oben Rdn 2). Aufgrund der dargestellten Rechtsunsicherheit bezüglich fristgerechter Ausschlagung und/oder Anfechtungsgrund (siehe oben Rdn 7, 23) suchen viele Rechtsanwälte den vermeintlich sichersten Weg zu gehen: Sie raten zu einer Ausschlagung, stellen aber vorsorglich einen Antrag auf Nachlassinsolvenz, um – im Falle der Unwirksamkeit der Ausschlagung – eine Haftung aus § 1980 BGB zu vermeiden. Problem: Der BGH hat 2011 entschieden, dass der Erbe, der nach eigenem Vortrag wirksam ausgeschlagen hat, nicht antragsrechtsberechtigt i.S.d. § 317 Abs. 1 InsO ist. Das hat folgende Konsequenz:
Rz. 36
Erst in letzter Instanz wird verbindlich darüber entschieden, ob die Ausschlagung wirksam war. Verneint das Prozessgericht dies, so steht fest, dass der Erbe aus der Schuldnerstellung in Bezug auf die Nachlassverbindlichkeiten nicht herausgekommen ist. Bleibt also nur die Haftungsbeschränkung auf den Nachlass. Aber:
Hatte der Nachlassgläubiger bereits in erster Instanz erfolgreich einen vorläufig vollstreckbaren Titel gegen den Erben erstritten, so konnte er hieraus in der Zwischenzeit bereits vollstrecken. Hält der Erbe in dieser Zeit an seiner Rechtsauffassung, die Ausschlagung sei wirksam, fest, so kann er gegen die Vollstreckung aus diesem vorläufig vollstreckbaren Urteil in sein Eigenvermögen nicht mit Erfolg vorgehen, weil er bis dato mangels Antragsbefugnis nach § 317 InsO nicht wirksam eine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass herbeigeführt hat: Ihm steht weder die Einrede des § 782 S. 2 ZPO zu, noch – mangels Eröffnung des Insolvenzverfahrens – die Möglichkeit sich auf § 240 ZPO zu berufen oder sich gegen die Vollstreckung mit der Vollstreckungsabwehrklage gemäß §§ 781, 785, 767 ZPO zur Wehr zu setzen. Auch nach endgültigem Verlust in letzter Instanz kann der Erbe die Vollstreckung nicht rückgängig machen.
Rz. 37
Der BGH gibt den Erben in diesen Fällen folgenden Lösungsweg an die Hand: Der Erbe, der an der Wirksamkeit der Ausschlagung festhält, muss gemäß § 1960 Abs. 1 S. 2 BGB Nachlasspflegschaft beantragen und beim Nachlasspfleger anregen, Nachlassinsolvenzantrag zu stellen.
Hinweis
Der Erbe schuldet für den Antrag auf Nachlasspflegschaft keinen Vorschuss.
Unterlässt der Nachlasspfleger die Antragstellung pflichtwidrig, und kann der Erbe deshalb seine Erbenhaftung nicht wirksam beschränken, so haftet der Nachlasspfleger dem Erben auf Ersatz des daraus resultierenden Schadens. Stellt der Nachlasspfleger verspätet einen Insolvenzantrag, kann er sich gegenüber dem Nachlass schadensersatzpflichtig machen. Der Schaden kann dann in einer vor Antragstellung entnommenen Nachlasspflegervergütung bestehen.