Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
Rz. 50
Bedeutende Entscheidungen des EGMR sind bspw.:
Johnston u.a. v. Irland (1986): Aus Art. 12 EMRK lässt sich kein Recht auf Scheidung ableiten – mithin ist ein staatliches Scheidungsverbot mit Art. 12, 8 und 14 EMRK kompatibel (kein Recht auf Auflösung der Ehe). Eine De-facto-Familie ist nach Art. 8 EMRK anzuerkennen. Aus der Achtungspflicht resultiert jedoch keine Verpflichtung des Staates, eine Formalisierung der De-facto-Familie zu ermöglichen. Da auch die Freiheit auf Wiederverheiratung geschützt ist, müssen Wartezeiten nach der Beendigung einer Ehe verhältnismäßig sein.
Rz. 51
Cossey v. Vereinigtes Königreich (1990): Im Hinblick auf Transsexuelle sei der Schutzbereich von Art. 12 EMRK nicht berührt. Ein Verbot, nach einer Geschlechtsumwandlung einen Angehörigen seines früheren eigenen Geschlechts heiraten zu dürfen, verletze Art. 12 EMRK nicht, weil das traditionelle Konzept der Eheschließung einerseits gleichgeschlechtliche Ehen nicht umfasst und andererseits durch aktuelle Entwicklungen auch keine Änderungen erfahren habe. Hinweis: Der EGMR hat im Jahre 2002 diesbezüglich eine Änderung seiner Judikatur vollzogen:
Rz. 52
I. v. Vereinigtes Königreich (2002) und Goodwin v. Vereinigtes Königreich (2002): Es könne im Jahre 2002 – wegen der medizinischen Möglichkeiten einer Geschlechtsumwandlung und der Übernahme der sozialen Rolle des neuen Geschlechts nach der Operation durch Transsexuelle – nicht mehr davon ausgegangen werden, dass sich Art. 12 EMRK (seinem Wortlaut nach) nur auf von Geburt an biologische Männer oder Frauen bezieht. Infolgedessen ist im Rahmen des Art. 12 EMRK das neue Geschlecht maßgeblich mit der Konsequenz, dass die Verweigerung der Möglichkeit einer Eheschließung mit einem Partner des früheren eigenen Geschlechts als "Eingriff" in die Ehefreiheit nach Art. 12 EMRK zu qualifizieren ist. Da die Beschwerdeführer(innen) mit Männern zusammenlebten und auch nur einen Mann heiraten wollten, ihnen diese Möglichkeit aber nach der innerstaatlichen Gesetzgebung des Vereinigten Königreichs verwehrt war, verletzten diese nationalen Verbote den Kerngehalt von Art. 12 EMRK.
Rz. 53
Beachte: "Inzwischen nimmt der EGMR an, dass Art. 12 EMRK nicht unbedingt auf die Eheschließung zwischen Personen unterschiedlichen Geschlechts beschränkt ist."
Rz. 54
Jaremowicz v. Polen und Frasik v. Polen: Art. 12 EMRK berechtigt auch Strafgefangene in Strafvollzugsanstalten zu einer Eheschließung (womit Freiheit keine notwendige Voraussetzung der Ausübung dieses Rechts ist) – weswegen Beschränkungen der Freiheit einer Rechtfertigung (Gründe der Sicherheit oder des Strafvollzugs) bedürfen.
Rz. 55
Chavalambous v. Zypern und V.K. v. Kroatien: Die Verschleppung eines Scheidungsverfahrens mit korrespondierender Verzögerung einer Wiederheirat kann eine Verletzung von Art. 12 EMRK begründen.
Rz. 56
X. v. Deutschland: Ausländerrechtliche und aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen (bspw. Ausweisung, Auslieferung bzw. Einreisesperre) können (wenn konkrete Heiratspläne dadurch tangiert werden) den Schutzbereich des Art. 12 EMRK tangieren (sofern eine Eheschließung außerhalb des Aufenthaltsstaats nicht möglich ist). Die Freiheit, eine Person eigener Wahl zu heiraten, kann durch eine Verhinderung von Scheinehen von Inländern mit Ausländern (die dadurch eine Aufenthaltserlaubnis erhalten könnten) verhindert werden.
Rz. 57
Lindsay v. Vereinigtes Königreich: Art. 12 EMRK vermag eine unterschiedliche Besteuerung verheirateter und unverheirateter Personen nicht zu verhindern.