Rz. 43

Art. 8 EMRK schützt im Falle der Trennung einer Familie durch ausländerrechtliche Maßnahmen[173] die gelebte und intakte Familie, die bereits schon vor dem Zeitpunkt begründet sein muss, zu dem mit der Ausweisung (bzw. der Auslieferung oder der Einreisesperre[174]) zu rechnen ist. Eingriffe in Art. 8 EMRK[175] sind nur auf gesetzlicher Grundlage (bspw. des Ausländerrechts) zur "Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit" bzw. zur "Verhütung von Straftaten" (vgl. Art. 8 Abs. 2 EMRK) zulässig. Zu berücksichtigen ist dann jedoch – so die ständige Judikatur des EGMR[176] – die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Einzelfall. Dabei haben die Staaten dem Grundsatz nach das Recht, den Aufenthalt von Ausländern in ihrem Staatsgebiet zu regulieren. Sie können Ausländer also grundsätzlich nach einer Verurteilung wegen einer Straftat ausweisen. Die Staaten trifft nämlich keine Verpflichtung, die Wahl des Aufenthaltsortes einer Familie zu respektieren. Allerdings sind im Rahmen des Abwägungsprozesses auch folgende Faktoren zu berücksichtigen:

Schwere der begangenen Tat bei der strafrechtlichen Verurteilung;
Bindungen des Auszuweisenden an seinen Heimatstaat;
zeitliche Aufenthaltsdauer des mit auszuweisenden Ehegatten;
nach Begehung der Tat verstrichene Zeit und Verhalten des Ehepartners nach dieser Zeit;
Staatsangehörigkeit der betroffenen Person (wenn dadurch die Möglichkeit besteht, dass die Ehe in einem Drittland fortgesetzt werden kann);
familiäre Situation des Ehepartners (z.B. Dauer der Ehe, Alter, Zahl der gemeinsamen Kinder);
Zumutbarkeit für den Ehepartner und die Kinder, den Auszuweisenden in dessen Heimatland zu folgen (Zumutbarkeit des Nachfolgens der im Gaststaat wohnenden Familienmitglieder, z.B. vorhandene Sprachkenntnisse). Dabei ist hinsichtlich der Kinder der Grad ihrer bereits erfolgten Integration, ein Schulbesuch usw. zu beachten.
 

Rz. 44

Hinweis: Seit 1996 wird Art. 8 EMRK tendenziell allerdings restriktiv ausgelegt.[177]

[173] Peters, Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, § 26 III.
[174] Zum Nachzug von Familienangehörigen: EGMR vom 31.1.2006 (Rodrigues da Silva u.a. ./. Niederlande).
[175] Näher HK-EMRK/Meyer-Ladewig/Nettesheim, Art. 8 EMRK Rn 71 ff.
[176] Vgl. bspw. Gül v. Schweiz (1996), Reports 1996-I, 159 ff., Rn 28 ff.; Ahmut v. Niederlande, Reports 1996-VI, 2033 ff.; Dalia v. Frankreich, Reports 1998-I, 76 ff.; Bouchilkia v. Frankreich, Reports 1997-I, 65 ff.; Boughanemi v. Frankreich, Reports 1996-II, 610 ff., Rn 43 ff.; Miheni v. Frankreich, Reports 1997-VI, 1959 ff.
[177] Peters, Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, § 26 III 1.

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