Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 33
Es kann – wenn auch nicht sehr häufig – vorkommen, dass sich der Wert eines Streitgegenstandes während eines gerichtlichen Verfahrens zwischen der Einreichung der Klage und der Urteilsverkündung verändert, wobei der Streitgegenstand derselbe bleibt. Um für solche Fälle einen verbindlichen Zeitpunkt für die Wertberechnung festzulegen ordnet § 4 Abs. 1 ZPO an, dass der Zeitpunkt der Einreichung der Klage bzw. der Antragstellung bei Gericht für die Wertberechnung entscheidend ist.
Rz. 34
Für die Berechnung des Zuständigkeitsstreitwertes ist es also ohne Bedeutung, wenn sich der Wert des Streitgegenstandes während des Verfahrens ändert – an der sachlichen Zuständigkeit des Gerichts ändert sich hierdurch nichts.
Beispiel:
Vogel klagt gegen Würmling auf Herausgabe von 100 Aktien der BMW AG. Bei Klageeinreichung betrug der Börsenkurs der Aktien 44,00 EUR. Der Kurswert der Aktien belief sich also auf 4.400,00 EUR. Vogel musste seine Klage beim Amtsgericht einreichen. Bis zum ersten Verhandlungstermin, in dem auch das Urteil verkündet werden soll, ist der Börsenkurs auf 55,00 EUR gestiegen (Kurswert 5.500,00 EUR). Würmling kann nun aber nicht die Verweisung an das Landgericht verlangen, da sich durch die Wertsteigerung nichts an der sachlichen Zuständigkeit des Amtsgerichtes ändert.
Rz. 35
Die Aussage des § 4 ZPO gilt grundsätzlich auch für die Gerichts- und die Anwaltsgebühren. In gebührenrechtlicher Hinsicht wird § 4 ZPO durch § 40 GKG ergänzt. Wenn sich der Wert des eingeklagten Streitgegenstands während eines Prozesses ändert, so ändert sich der Streitwert nicht, sondern es gilt für den Gebührenstreitwert folgendes: "Für die Wertberechnung ist der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung maßgebend, die den Rechtszug einleitet". In Prozessverfahren ist als dieser Zeitpunkt der Tag der Einreichung der Klage zu betrachten, da hierdurch der Rechtsstreit anhängig wird. Wenn während einer Instanz der Wert des eingeklagten Streitgegenstands sich erhöht oder sinkt, so ist dies also ohne Auswirkung auf den Gebührenstreitwert. Für Verfahren vor dem Familiengericht gilt nach § 23 FamGKG der gleiche Grundsatz; es kommt nur auf den Tag der ersten Antragstellung an. Allerdings ist im Falle einer Klageerweiterung – es kommt also ein zusätzlicher Streitgegenstand hinzu – die erste sich hierauf beziehende Antragstellung maßgebend (siehe unten).
Beispiel:
Klage auf Zahlung von 4.000,00 US-Dollar. Bei Klageeinreichung beträgt der Kurs des Euro zum US-Dollar 1,20 US-Dollar und zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung 1,26 US-Dollar. Gerichts- und Anwaltsgebühren werden nach dem bei Einreichung der Klage festgestellten Wert von 4.800,00 EUR, nicht nach 5.040,00 EUR berechnet. Der Streitgegenstand (die 4.000,00 US-Dollar) ist übrigens gleich geblieben, nur sein Wert in Euro hat sich verändert.
Diese Überlegungen sind für jede Instanz gesondert anzustellen. In einer Rechtsmittelinstanz kann der Streitwert jedoch nicht über dem Wert des Streitgegenstands der ersten Instanz liegen (§ 47 Abs. 2 S. 1 GKG).
Rz. 36
Im Falle einer Klageerweiterung oder einer Widerklage ist der für die Wertberechnung maßgebliche Zeitpunkt mit der Einreichung des die Klageerweiterung oder Widerklage ankündigenden Schriftsatzes oder dem mündlichen Antrag im Verhandlungstermin gegeben (§ 40 GKG). In diesen Fällen ändert sich nämlich nicht der Wert des Streitgegenstands, sondern der Streitgegenstand selbst wird ein anderer, was z. B. durch Klageänderung, Klageerweiterung oder teilweise Klagerücknahme geschehen kann. Hierdurch ergibt sich ein neuer Streitwert. Siehe hierzu Rdn 63 f.., insbesondere Rdn 65 ff.
Beispiel:
Klage auf Zahlung eines Kaufpreises von 4.000,00 EUR. Im zweiten Verhandlungstermin werden zusätzlich 2.000,00 EUR Schadenersatzforderung eingeklagt. Gerichts- und Anwaltsgebühren werden nach der insgesamt rechtshängigen Summe von 6.000,00 EUR berechnet. Siehe § 22 Abs. 1 RVG, § 39 Abs. 1 GKG und auch § 33 Abs. 1 FamGKG.
Merke:
Für die Wertberechnung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Klageeinreichung entscheidend.
Eine Änderung des Wertes des eingeklagten Streitgegenstands nach Klageeinreichung wirkt sich nicht auf den Streitwert der Instanz aus – anders als bei einer Klageänderung.