Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 17
Das RVG kennt bis auf wenige hilfsweise anzuwendende Ausnahmebestimmungen keine eigenen Wertberechnungsvorschriften. In § 23 verweist das RVG auf andere Kostengesetze, so in Abs. 1 für den Zivilprozess auf das GKG, bzw. in Familiensachen auf das FamGKG und in Abs. 3 in anderen Angelegenheiten auf das Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG). Beispiele für die in Abs. 3 genannten "anderen Angelegenheiten" sind der Entwurf eines Miet- oder Kaufvertrages oder eines Antragsschreibens z. B. an die Stadtverwaltung.
Der Gegenstandswert für die Anwaltsgebühren richtet sich in gerichtlichen Verfahren also nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften (§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG). Gerichtliche Verfahren sind aber nicht nur Zivilprozesse, sondern auch Verfahren vor den Gerichten der besonderen Gerichtsbarkeit. Soweit es sich um einen bürgerlichen Rechtsstreit oder um ein Verfahren vor Gerichten der Arbeits-, Verwaltungs- oder der Finanzgerichtsbarkeit handelt, sind die Wertvorschriften des GKG heranzuziehen (§ 1 GKG). Auch in bestimmten Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit ist das GKG anzuwenden. In einem gerichtlichen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, insbesondere in Familiensachen, gelten die Wertvorschriften des FamGKG.
Die vorgenannten Wertvorschriften werden aber gemäß § 23 Abs. 1 S. 3 RVG nicht nur bei gerichtlichen Verfahren angewandt, sondern auch sinngemäß bei üblicherweise einem gerichtlichen Verfahren vorausgehenden anwaltlichen Tätigkeiten, insbesondere also bei Zahlungsaufforderungen, Mahnungen, Kündigungen, Versuchen der gütlichen Einigung oder bei der Vorbereitung einer Klage oder der Rechtsverteidigung. Dies gilt selbst dann, wenn sich die Angelegenheit ohne gerichtliches Verfahren erledigt oder der RA darin später nicht tätig wird.
In § 23 Abs. 1 S. 3 RVG wird ganz deutlich erklärt, dass die genannten Wertvorschriften auch die von Anfang an beabsichtigte außergerichtliche Erledigung von Rechtsangelegenheiten betreffen, wenn nur der Gegenstand der Anwaltstätigkeit auch Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein könnte. Damit wird berücksichtigt, dass die Mehrzahl der Rechtsstreitigkeiten außergerichtlich erledigt wird.
Es lässt sich also festhalten, dass in gerichtlichen Verfahren und für ihnen normalerweise vorausgehende oder sie vermeidende anwaltliche Tätigkeiten der Streitwert für die Gerichtsgebühren und der Gegenstandswert für die Anwaltsgebühren grundsätzlich nach den gleichen Regeln ermittelt werden.
Rz. 18
Nur wenn es für die Gerichtsgebühren keine Wertvorschriften gibt, weil z. B. das gerichtliche Verfahren gebührenfrei ist, bestimmt sich der Gegenstandswert für die Anwaltsgebühren nach § 23 Abs. 3 RVG. Weiterhin gilt § 23 Abs. 3 RVG für alle anderen Angelegenheiten, in denen gar kein gerichtliches Verfahren vorliegt und auch nicht entstehen könnte, z. B. bei Entwürfen von Verträgen oder bei der Überprüfung von fremden Vertragsentwürfen. Dies wird in Rdn 117 ff. behandelt.
Merke:
In gerichtlichen Verfahren werden der Streitwert für die Gerichtsgebühren und der Gegenstandswert für die Anwaltsgebühren grundsätzlich nach den gleichen Regeln ermittelt.
Die Bewertung von anwaltlichen Tätigkeiten, die üblicherweise einem gerichtlichen Verfahren vorausgehen, erfolgt wie bei gerichtlichen Verfahren.
Wenn
1. |
für die Gerichtsgebühren keine Wertvorschriften vorgesehen sind oder |
2. |
gar kein gerichtliches Verfahren vorliegt und auch nicht entstehen kann, |
ist der Gegenstandswert für die Anwaltsgebühren gemäß § 23 Abs. 3 RVG entweder nach bestimmten Wertvorschriften des GNotKG zu ermitteln oder, wenn auch dies nicht geht, nach billigem Ermessen zu schätzen, und wenn sogar dies nicht möglich ist oder bei nichtvermögensrechtlichen Angelegenheiten, wird grundsätzlich ein Gegenstandswert von 5.000 Euro angenommen.
Rz. 19
Für die Wertberechnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (nicht in Familiensachen!) verweist das GKG in seinem § 48 Abs. 1 auf die Wertvorschriften der §§ 3 bis 9 ZPO, aber nur soweit das GKG in seinen anderen Wertvorschriften nichts anderes bestimmt.
Dies muss noch einmal verdeutlicht werden: Die für die Gerichts- und die Anwaltsgebühren maßgeblichen Wertvorschriften sind in erster Linie in den §§ 39 bis 60 GKG enthalten. Und nur, wenn das GKG keine Regelung trifft, sind in zweiter Linie die §§ 3 bis 9 ZPO heranzuziehen. Man spricht hier übrigens auch davon, dass die §§ 3 bis 9 ZPO nur subsidiär gelten. Sie werden sich vorstellen können, dass hier einige mögliche Fehlerquellen auf Sie lauern. Zu Ihrer Beruhigung: glücklicherweise sind die meisten den Gebührenstreitwert betreffenden Bewertungsfragen im GKG geregelt.
Andererseits heißt es im GKG an verschiedenen Stellen: "… soweit nichts anderes bestimmt ist". Andere Wertvorschriften enthält aber nicht nur die ZPO in den §§ 3 bis 9, sondern für bestimmte Fälle auch das RVG in seinen §§ 23a bis 31b. Davon die wichtigsten im Rahmen dieses Buches werden für Sie sein: § 23a RVG (Gegenstandswert im Verfahren über die Prozesskostenh...