Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 50
Während § 5 Hs. 1 ZPO für den Zivilprozess anordnet, dass mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammengerechnet werden, erweitert § 22 Abs. 1 RVG diesen Grundsatz auf alle – auch außergerichtliche – Tätigkeiten des RA: "In derselben Angelegenheit werden die Werte mehrerer Gegenstände zusammengerechnet".
Voraussetzung für die Zusammenrechnung ist, dass der RA bezüglich mehrerer Gegenstände in derselben Angelegenheit tätig wird. Dann werden die Gebühren nur nach dem zusammengerechneten Wert der einzelnen Gegenstände berechnet. In einer Angelegenheit können also mehrere Gegenstände zusammen behandelt werden. Darüber können die Mandanten bei der Auftragsvergabe frei entscheiden. Leider definiert das Gesetz nicht, was es unter den Begriffen Gegenstand und Angelegenheit versteht, sodass diese einer nachstehenden Erläuterung bedürfen.
Rz. 51
Als Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit wird das Recht oder das Rechtsverhältnis, auf das sich der dem RA erteilte Auftrag bezieht, bezeichnet, also z. B. der Kaufpreisanspruch oder der Unterhaltsanspruch, der eingeklagt werden soll.
Rz. 52
Was eine Angelegenheit ist, richtet sich
1. |
nach dem vorliegenden Auftrag (der auch einheitlich von mehreren Auftraggebern erteilt werden kann), |
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danach, ob der RA seine Tätigkeit auftragsgemäß im Zusammenhang eines einheitlichen Rahmens ausübt und |
3. |
nach dem inneren Zusammenhang der einzelnen Gegenstände. |
Rz. 53
Einen einheitlichen Auftrag haben ein oder mehrere Auftraggeber dann erteilt, wenn unterschiedliche Ansprüche vom RA gemeinsam behandelt werden sollen. Macht dann der RA die verschiedenen Ansprüche z. B. in einem Brief an den Gegner oder in einer Klage zusammen geltend, so liegt ein einheitlicher Rahmen vor. Ein innerer Zusammenhang der verschiedenen Ansprüche (Gegenstände) ist dann gegeben, wenn sie in einer einzigen Klage bei Gericht geltend gemacht werden können, z. B.
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wenn ein Auftraggeber gegen denselben Beklagten eine Kaufpreis- und eine Darlehensforderung einklagt oder |
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wenn mehrere Unfallopfer ihre unterschiedlichen Schadenersatzansprüche gegen denselben Unfallverursacher durchsetzen wollen oder |
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wenn mehrere Unterhaltsberechtigte gemeinsam gegen denselben Unterhaltsverpflichteten eine familiengerichtliche Entscheidung beantragen. |
Für den Fall mehrerer Auftraggeber sieht das in § 7 RVG i. V. m. Nr. 1008 VV RVG eine Gebührenerhöhung für den beauftragten RA vor (siehe dazu § 2 Rdn 32 ff.)
Rz. 54
Wegen der Degression der Gebührentabelle (siehe § 1 Rdn 24 ff.) ergeben sich durch die Zusammenrechnung gemäß § 7 RVG i. V. m. Nr. 1008 VV RVG niedrigere Gebühren als wenn die Gebühren nach den Einzelstreitwerten berechnet werden.
Beispiel:
In drei verschiedenen Angelegenheiten mit je einem Wert von 1.100,00 EUR ergibt sich für den beauftragten RA je eine 1,3 Verfahrensgebühr gemäß §§ 2, 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG von 165,10 EUR, insgesamt also 495,30 EUR.
Wären dies drei Gegenstände innerhalb einer einzigen Angelegenheit, so ergäbe sich nur eine einzige 1,3 Verfahrensgebühr gemäß §§ 2, 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG von 361,40 EUR nach dem zusammengerechneten Wert von 3.300,00 EUR, also wegen der Degression der Gebührentabelle 133,90 EUR weniger.
Rz. 55
Der Grundsatz der Zusammenrechnung erfährt in den Kostengesetzen aber auch eine Reihe von Ausnahmen: so in § 48 Abs. 3 GKG oder in § 33 Abs. 1 S. 2 FamGKG für aus nichtvermögensrechtlichen Ansprüchen hergeleitete vermögensrechtliche Ansprüche, in § 44 GKG für die Stufenklage, in § 45 GKG für Klage und Widerklage sowie wechselseitig eingelegte Rechtsmittel, in Nr. 1009 Anm. Abs. 3 VV RVG für die Hebegebühr und in VV Vorbemerkung Abs. 2 RVG für die Gebühren im Insolvenzverfahren. Weitere Hinweise zu § 33 Abs. 1 S. 2 FamGKG finden Sie in § 11 Rdn 106 ff.
Merke:
Für die Anwaltsgebühren gilt, dass in derselben Angelegenheit die Werte mehrerer Gegenstände zusammengerechnet werden.