I. Aufrechnung
1. Frage
Rz. 37
Der Mandant wurde im Rahmen der Beratungshilfe im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren vertreten, die Behörde hat die Kosten zu erstatten. In einem anderen Fall wurde im sozialgerichtlichen Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt. In beiden Fällen wurde die Festsetzung gegen die Behörde beantragt, doch diese rechnet mit Ansprüchen, die sie noch gegen den Mandanten hat, auf. – Ist das zulässig?
2. Antwort
Rz. 38
Häufig stehen dem Jobcenter gegen den Mandanten Rückzahlungsansprüche zu. Daher war verstärkt zu beobachten, dass im Fall erfolgreicher Widerspruchs- und Klageverfahren der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts durch eine Aufrechnung des Jobcenters mit bestehenden Ansprüchen gegen den Mandanten zu Fall gebracht wird. Das BSG hat dem einen Riegel vorgeschoben und entschieden, dass die Aufrechnung von Kostenerstattungsansprüchen für Vorverfahren mit Erstattungsforderungen eines Jobcenters aufgrund der Überzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen ein normatives Aufrechnungsverbot verstoße. Dies gilt unabhängig von einer Abtretung oder bewilligten Beratungshilfe.
Im Rahmen von Beratungs- und Prozesskostenhilfe sollte dennoch darauf geachtet werden, dass die Erstattungsansprüche bei entsprechender Kostenentscheidung durch den Anwalt ausdrücklich im eigenen Namen geltend gemacht werden. Nach § 9 S. 2 BerHG geht der Erstattungsanspruch auf den Rechtsanwalt über. Auch im gerichtlichen Verfahren kann der Anwalt bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 202 SGG i.V.m. § 126 Abs. 1 ZPO die Gebühren und Auslagen von dem in die Prozesskosten verurteilten Gegner im eigenen Namen beitreiben. Dies hat zur Folge, dass nach § 126 Abs. 2 ZPO Einreden aus der Person der Partei nicht zulässig sind. Der Gegner kann nur mit Kosten aufrechnen, die nach der in demselben Rechtsstreit über die Kosten erlassenen Entscheidung von der Partei zu erstatten sind. Allerdings muss der Anwalt in diesen Fällen die Streitigkeiten um die Vergütung im eigenen Namen führen.
II. Anzahl der Angelegenheiten in der Beratungshilfe bei Trennung und Scheidung
1. Frage
Rz. 39
Die Mandantin hat einen Beratungshilfeschein erhalten für Trennung und Scheidung. Es erfolgte eine Vertretung wegen den damit zusammenhängenden Gegenständen, u.a. Unterhalt, Umgangs- und Sorgerecht, Zugewinn, Hausrat etc. – Handelt es sich vorliegend nur um eine Angelegenheit und kann die Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV RVG daher nur einmal abgerechnet werden?
2. Antwort
Rz. 40
Der Angelegenheitsbegriff ist auch in der Beratungshilfe nicht gesetzlich definiert. Es gelten die allgemeinen Erwägungen. Die Frage wurde durch die Gerichte sehr unterschiedlich beantwortet. Der Gesetzgeber hatte daher im Referentenentwurf zum 2. KostRMoG eine Erhöhung der Beratungs- und Geschäftsgebühr in der Beratungshilfe für jede unter eine andere Nummer des § 111 FamFG fallende Familiensache vorgesehen. Da sich in der Zwischenzeit jedoch eine gefestigte Auffassung in der Rechtsprechung gebildet hat, wurde von einer dahingehenden Änderung abgesehen.
Nach derzeitiger überwiegender Rechtsprechung wird bei Erteilung eines Beratungshilfescheins für die Angelegenheiten "Trennung, Scheidung und Folgesachen" bei einer anschließenden umfassenden Beratung durch einen Rechtsanwalt von vier Komplexen ausgegangen, die jeweils als gesonderte gebührenrechtliche Angelegenheit behandelt werden, sodass die Beratungsgebühr für insgesamt bis zu vier Angelegenheiten geltend gemacht werden kann. Diese typisierten Komplexe sind in der Regel:
▪ |
Scheidung als solche, |
▪ |
das persönliche Verhältnis zu den Kindern (Personensorge, Umgangsrecht), |
▪ |
Fragen im Zusammenhang mit Ehewohnung und Hausrat, |
▪ |
finanzielle Auswirkungen von Trennung und Scheidung (Unterhaltsansprüche, Güterrecht, Vermögensauseinandersetzung). |
Das OLG Sachsen-Anhalt differenziert sogar zwischen folgenden, bis zu sechs verschiedenen beratungshilferechtlichen Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Beendigung der Ehe:
▪ |
Ehesachen i.S.v. §§ 111 Nr. 1, 121 FamFG, |
▪ |
Kindschaftssachen i.S.v. §§ 111 Nr. 2, 151 FamFG (ggf. auch §§ 111 Nr. 10 i.V.m. 266 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 FamFG), |
▪ |
Ehewohnungs- und Haushaltssachen i.S.v. §§ 111 Nr. 5, 200 FamFG, |
▪ |
Versorgungsausgleichssachen i.S.v. §§ 111 Nr. 7, 217 FamFG, |
▪ |
Unterhaltssachen i.S.v. §§ 111 Nr. 8, 231 FamFG (d.h. sowohl Kindschafts- als auch Ehegattenunterhalt) sowie |
▪ |
Güterrecht i.S.v. §§ 111 Nr. 9, 261 FamFG und sonstige Vermögensauseinandersetzungen (ggf. auch §§ 111 Nr. 10 i.V.m. 266 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 FamFG). |
Die Anzahl der erteilten Beratungshilfescheine ist für die gebührenrechtliche Bewertung der Zahl der "Angelegenheiten", für die Beratungshilfe bewilligt wurde, nach ganz herrschender Meinung grundsätzlich ohne Bedeutung. Eine Prüfung, wie viele gebührenrechtliche Angelegenheiten vorliegen, erfolgt danach nicht bereits im Rahmen der Bewilligung der Beratungshilfe, sondern erst bei der Vergütungsf...