Dr. iur. Sebastian Müller
Rz. 51
Häufig ergeben sich Haftpflichtansprüche gegen den Rechtsanwalt aus einem Verstoß gegen die ihm obliegenden Belehrungspflichten. Nach Ansicht des BGH ist der um eine Beratung ersuchte Rechtsanwalt zu einer umfassenden und möglichst erschöpfenden Auskunftserteilung einschließlich der Belehrung seines Auftraggebers verpflichtet. Im Einzelnen führt der BGH hierzu aus:
Zitat
"Die Beratungspflicht des Rechtsanwalts schließt unter gegebenen Umständen auch die Notwendigkeit ein, auf die Zweifelhaftigkeit einer mit erheblichen Risiken verbundenen Rechtslage hinzuweisen."
Rz. 52
Der Anwalt ist aber nicht verpflichtet, eine eindeutige Prognose über den Verlauf bzw. Ausgang eines Prozesses abzugeben. Angesichts der Vielfalt der unterschiedlichen rechtlichen Meinungen wäre dies auch praktisch gar nicht möglich. Ist eine Rechtsverfolgung bzw. ein bestimmtes Verhalten des Mandanten nur unter Inkaufnahme erheblicher Risiken denkbar, hat der Anwalt seinen Mandanten aber auf Art und Ausmaß der einzugehenden "Risiken" hinzuweisen. Sind die Erfolgsaussichten eines vom Mandanten gewünschten Prozesses über das übliche Maß hinaus zweifelhaft, genügt es nach Ansicht des BGH nicht, wenn der Anwalt den Mandanten bloß auf das allgemeine Prozessrisiko hinweist. Vielmehr ist er verpflichtet, von sich aus auch zur wirtschaftlichen Bedeutung des Risikos und zur Wahrscheinlichkeit seiner Verwirklichung explizit Stellung zu nehmen. In einem solchen Fall trifft den Anwalt eine Warnpflicht bezüglich des außerordentlich hohen Prozessrisikos. Diese Warnpflicht kann auch im Rahmen der Erteilung sonstiger Rechtsauskünfte und Beratungen gegeben sein.
Rz. 53
Um Schwierigkeiten in einem späteren Haftpflichtprozess vorzubeugen, sollte der Anwalt auf jeden Fall wenigstens eine Aktennotiz über die Belehrung des Mandanten anfertigen. Wesentlich besser ist es, den Mandanten schriftlich aufzuklären und ihn die erteilte Belehrung darüber hinaus noch schriftlich bestätigen zu lassen. Eine Dokumentationspflicht trifft den Rechtsanwalt aber nicht.
Rz. 54
Aus der Tatsache, dass jedes Vorgehen im Rahmen eines Mandats ein gewisses Risiko aufweist, ergibt sich, dass grundsätzlich die Wahl des sichersten und zweckmäßigsten Weges zu treffen ist. Nach Ansicht des BGH ist diejenige Maßnahme einzuleiten, die die drohenden Nachteile am ehesten vermeidet. Es sind dem Mandanten darüber hinaus diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Im Zweifel muss der Anwalt immer den sicheren Weg gehen.
Rz. 55
Beispiel
In einem vom BGH entschiedenen Fall ging es dem Erblasser darum, das erbvertragliche Alleinerbenrecht seines getrennt lebenden Ehegatten auszuschließen, um seinen Kindern das Erbrecht zu sichern und diese als Erben einzusetzen. Besteht zwischen dem Erblasser und der getrennt lebenden Ehefrau ein Erbvertrag mit Rücktrittsklausel, so begeht der Anwalt eine Pflichtverletzung, wenn er lediglich über das Scheidungsverfahren versucht, das Erbrecht des Ehegatten auszuschließen, und nicht noch zusätzlich einen Notar mit der Beurkundung der Rücktrittserklärung beauftragt.
Gemäß dem "Gebot des sichersten Weges" hat der Anwalt bei einer Vielzahl von Möglichkeiten den Mandanten auch über den "einfachsten, schnellsten und billigsten Weg" zum Erreichen des Erfolges zu belehren.