Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 43
Der vom Mandanten vorgetragene Lebenssachverhalt sollte genauer hinterfragt, aber auch eingegrenzt werden. Zu klären ist, worauf sich die anwaltliche Tätigkeit im Einzelnen beziehen soll. Es könnte sein, dass sich hinter dem Begehren des Mandanten nicht nur ein Auftrag verbirgt. Der Anwalt muss den Mandanten dann darauf hinweisen, dass es sich um zwei oder mehr Mandate handelt. Entsprechend muss sich der Rechtsanwalt beauftragen lassen.
Rz. 44
Ein Rechtsanwalt ist im Rahmen des ihm erteilten Mandates verpflichtet, den Auftraggeber umfassend zu belehren, seine Belange nach jeder Richtung wahrzunehmen und seinen Auftrag so zu erledigen, dass Nachteile für den Mandanten möglichst vermieden werden. Droht dem Mandanten ein Rechtsverlust, hat er diesem durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken. Umfang und Inhalt der vertraglichen Pflichten eines Rechtsanwalts richten sich nach dem jeweiligen Mandat und den Umständen des einzelnen Falls. In den Grenzen des ihm erteilten Auftrags ist der Rechtsanwalt grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet. Unkundige muss er über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und vor Irrtümern bewahren. Er hat dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziele führen, und den Eintritt von Nachteilen oder Schäden zu verhindern, die voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er ihn auch über mögliche Risiken aufzuklären.
Um den Mandanten interessengerecht und juristisch zutreffend beraten zu können, muss dafür der Sachverhalt komplett aufgeklärt werden. Der Rechtsanwalt benötigt dazu Informationen und ggf. Unterlagen zu allen Voraussetzungen sämtlicher in Betracht kommender Rechtsnormen. Der Rechtsanwalt, welcher den Anspruchsteller vertritt, ist also insbesondere auf Auskünfte in Bezug auf die Tatbestandsmerkmale von Anspruchsgrundlagen angewiesen und ggf. zu prozessualen Voraussetzungen. Der den Anspruchsgegner vertretende Rechtsanwalt benötigt umfassende Mitteilungen zu Tatsachen, welche die Unzulässigkeit der Klage begründen können, ferner dazu, dass die Voraussetzungen der Anspruchsnormen nicht gegeben sind und schließlich Informationen, die sich auf Erlöschenstatbestände und Einreden bzw. Einwendungen beziehen. Der Mandant kann von ihm die Kenntnis der einschlägigen Rechtsnormen erwarten, bei deren Auslegung er sich grundsätzlich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu orientieren hat. Hinweise, Belehrungen und Empfehlungen sind in der Regel an der höchstrichterlichen Rechtsprechung auszurichten.
Rz. 45
Juristische Laien legen bei ihrer Sachverhaltsschilderung oftmals Schwerpunkte auf Einzelheiten, welche für die juristische Subsumtion unbedeutend sind. Häufig verschweigen sie jedoch relevante Tatsachen. An dieser Stelle obliegt es dem Rechtsanwalt, den Sachverhalt weiter zu hinterfragen und zu ermitteln. Das gilt insbesondere, wenn sich aus dem Sachverhalt Anhaltspunkte für eine mögliche weitere Anspruchsgrundlage bieten.
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist es die Aufgabe des Rechtsanwalts, der einen Anspruch klageweise geltend machen soll,
Zitat
"die zugunsten seiner Partei sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend wie möglich darzustellen, damit sie das Gericht bei seiner Entscheidung berücksichtigen kann. Er darf sich nicht ohne Weiteres mit dem begnügen, was sein Auftraggeber ihm an Informationen liefert, sondern muss um zusätzliche Aufklärung bemüht sein, wenn den Umständen nach für eine zutreffende rechtliche Einordnung die Kenntnis weiterer Tatsachen erforderlich und deren Bedeutung für den Mandanten nicht ohne Weiteres ersichtlich ist."
Die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung endet aber, wenn keine Anzeichen dafür existieren, dass die Informationen des Mandanten unvollständig oder falsch sein könnten.
Rz. 46
Der Anwalt muss den ihm vorgetragenen Sachverhalt daraufhin prüfen, ob er geeignet ist, den vom Auftraggeber erstrebten Erfolg herbeizuführen. Liefert der von dem Mandanten mitgeteilte Sachverhalt keine tatsächlichen Anhaltspunkte für rechtshindernde Einwendungen, welche die Rechtslage zugunsten des Mandanten beeinflussen könnten, ist der Rechtsanwalt, der erst in der Phase der Vertragsabwicklung beauftragt worden ist, insoweit zu einer weiteren Erforschung des Sachverhalts nicht verpflichtet.
Rz. 47
Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt so lange auf die Richtigkeit tatsächlicher Angaben seines Mandanten vertrauen und braucht nicht selbst nachzuforschen, als er die Unrichtigkeit weder kennt noch erkennen muss. Dies gilt jedoch nicht in Bezug auf Informationen, die nur scheinbar tatsächlicher Natur sind.
Rz. 48
Teilt der Mandant insbesondere Rechtstatsachen mit, hat der Anwalt sie durch Rückfragen in die zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände und Vorgänge aufzulösen oder, sofern dies keine zuverlässige Klärung erwarten lässt, weitere Ermittlungen anzustellen.
Rz. 49
Gefahr droht für den Rechtsanwalt also...