Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
Rz. 277
In dieser Entscheidung und noch einmal deutlich in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29.3.2001 hat das Bundesverfassungsgericht erklärt, dass in Eheverträgen der Schutz vor unangemessener Benachteiligung beachtet werden muss. Ein Ehevertrag darf die Unterlegenheitsposition einer Partei nicht durch ihre einseitige vertragliche Belastung und die unangemessene Berücksichtigung der Interessen der anderen Partei ausdrücken. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich festgelegt:
Zitat
Ein Verzicht auf gesetzliche Ansprüche bedeutet insbesondere für den Ehegatten eine Benachteiligung, der sich unter Aufgabe einer Berufstätigkeit der Betreuung des Kindes und der Arbeit im Hause widmen soll. Je mehr im Ehevertrag gesetzliche Rechte abbedungen werden, desto mehr kann sich der Effekt einseitiger Benachteiligung verstärken.
Das BVerfG verlangt für die Frage der Korrekturbedürftigkeit eines Ehevertrages eine "Gesamtschau" der persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und im Zeitpunkt der Scheidung.
Rz. 278
Hinweis zu den Risikofaktoren bei Eheverträgen
Risikofaktoren ja:
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Vertragsschluss in einer Zwangssituation (Terminsnot, Schwangerschaft, wirtschaftliche Abhängigkeit, Drohung, Täuschung) |
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Für einen Vertragsteil werden sämtliche Rechte abbedungen |
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Gemäß der Gesamtschau der Verhältnisse wurde ein wesentliches Teilrecht abbedungen |
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Die notarielle Belehrung (§ 17 BeurkG) war unterblieben oder mangelhaft, so dass der oder die Beteiligten die Tragweite des Geschäfts nicht verstanden haben (oder haben wollen). |
Risikofaktoren nein:
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nur ein unwesentliches Teilrecht abbedungen |
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Vertrag von jungen Leuten mit stabiler Einkommenssituation geschlossen |
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Beim Globalverzicht wurden ausreichende, gleichwertige Kompensationsleistungen vereinbart (Lebensversicherungen, Grundstücksübereignung, Geldanlage) |
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Ehepartner wollen beide freiberuflich tätig sein und haben daher aus Risikogründen Teilhaberrechte abbedungen |
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Ehepartner haben keinen Kinderwunsch, feste und zukunftssichere Einkünfte und schließen sämtliche Teilhaberechte aus |
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Beide Ehepartner haben unbelastete Immobilien, bereits ausreichende Rentenanwartschaften und verfügen über Ausbildungen in krisensicheren Berufen (Idealfall) |
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Junge Ehepartner haben bei Vertragsschluss sichere Einkommensquellen, akademische Ausbildungen, Berufserfahrung, dauerhafte Chancen auf dem Arbeitsmarkt, kein eigenes unbewegliches Vermögen, Absicherung durch Elternvermögen und einen Globalverzicht vereinbart. |
Rz. 279
Die Nichtigkeit eines Ehevertrages kann gemäß § 139 BGB allerdings nicht aus einer Bestimmung hergeleitet werden, die bei der Vertragsdurchführung nicht zur Anwendung kommen konnte.
Rz. 280
Praxistipp
Ein gerichtlicher Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit eines Ehevertrages ist mangels Feststellungsinteresses unzulässig, solange kein Scheidungsantrag gestellt und auch sonst offen ist, ob es zur Scheidung der Parteien kommt.
Rz. 281
Im Laufe der Entwicklung seit dem Urteil des BGH zur Kernbereichslehre im Jahre 2004 betont der BGH tendenziell mehr und mehr die Anpassung des Ehevertrages an die gegenwärtigen Verhältnisse und damit den Ausgleich entstandener ehebedingte Nachteile.
Schließlich hat der BGH auch in seinen neuesten Entscheidungen die Vertragsfreiheit betont und seinen Standpunkt verdeutlicht, dass namentlich der Zugewinnausgleich einer ehevertraglichen Disposition am weitesten zugänglich und ein Ausschluss des gesetzlichen Güterstandes regelmäßig nicht sittenwidrig, also im Wege der Bestandskontrolle nicht zu beanstanden sei.
Rz. 282
Es gilt mehr denn je, dass die Ehegatten mit dem Ausschluss des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft lediglich von einer im Gesetz eröffneten Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch machen.
Rz. 283
Die Ehevertragsfreiheit hat weiterhin Bestand, wenn auch mit Einschränkungen, die sich aber ausschließlich auf den Kernbereich der Scheidungsfolgen beziehen.
Die Vertragsfreiheit ist schon deshalb erforderlich, weil das Scheidungsfolgenrecht keinen zu lebenden Ehetypus vorschreibt. So, wie Eheleute frei darin sind, ihre Ehe inhaltlich zu gestalten, sind sie auch frei darin, die Folgen des Scheiterns ihrer Ehe zu regeln.
Die Grenze der Freiheit zur Regelung der Folgen eines Scheiterns der Ehe kann nur in der Verletzung des zwingenden Schutzzwecks der gesetzlichen Regelung liegen.
Rz. 284
Dieser Schutzzweck ist nach Auffassung des BGH unterlaufen, wenn eine
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evident einseitige Lastenverteilung nicht |
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durch eine individuelle Gestaltung der Ehe gerechtfertigt sein kann und |
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die Lastenverteilung für einen Ehegatten unzumutbar ist. |
Rz. 285
Unzumutbar ist eine Lastenverteilung nach Auffassung des BGH vor allem dann, wenn die Vereinbarung unter unfairen Bedingungen zustande gekommen ist.
Der BGH erklärt, dass eine Beanstandung sich insbesondere aus Umständen außerhalb der Vertragsurkunde ergeben kann, die eine subjektive Imparität ins...