Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
Rz. 1427
Nach § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt sich das Maß des Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen. § 1361 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt, dass ein Ehegatte vor dem anderen den "nach den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen der Eheleute angemessenen Unterhalt" verlangen kann. Die Bestimmungen sind inhaltsgleich und sind maßgebend für die Unterhaltsbemessung nach den "ehelichen Lebensverhältnissen".
Die ehelichen Lebensverhältnisse bilden damit den Maßstab für die Höhe jedes Anspruchs auf Ehegattenunterhalt sowohl hinsichtlich des nachehelichen Unterhalts als auch hinsichtlich des Trennungsunterhalts.
Rz. 1428
Mit dem Begriff der ehelichen Lebensverhältnisse waren nach ursprünglicher Auffassung des BGH alle Verhältnisse gemeint, die für den Lebenszuschnitt in der Ehe und damit für den ehelichen Lebensstandard bestimmend waren. Hierzu gehörten die wirtschaftlichen Verhältnisse, also Einkommen und Vermögen sowie sämtliche Belastungen.
Nach der geänderten Surrogatrechtsprechung des BGH fallen hierunter nunmehr auch alle sonstigen beruflichen, gesundheitlichen, familiären und andere ähnliche Faktoren, die für den Lebenszuschnitt von Bedeutung waren, insbesondere die Haushaltsführung und Kinderbetreuung des in der Ehe nicht berufstätigen Ehegatten.
Rz. 1429
Mit Urt. v. 15.3.2006 hat der BGH sodann das Konstrukt der sog. wandelbaren Lebensverhältnisse eingeführt.
Danach waren alle nach der Scheidung eintretenden, nicht eheprägenden Umstände auf der Ebene des Bedarfs zu berücksichtigen, auch wenn sie zu einer Absenkung des Bedarfs führten. Darunter fielen sämtliche nach der Scheidung entstandenen Verbindlichkeiten, soweit sie berücksichtigungsfähig waren und auch alle Unterhaltspflichten, gleichgültig, ob sie vorrangig, gleichrangig oder nachrangig waren.
Rz. 1430
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung mit seiner Entscheidung vom 25.1.2011 im Hinblick auf die Einbeziehung des Unterhalts des neuen Ehegatten in die Bedarfsermittlung für verfassungswidrig erklärt.
Es hat festgestellt, dass mit der vom BGH entwickelten Methode bei der Berechnung des nachehelichen Unterhalts die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschritten worden sind und ein Systemwechsel eingeleitet wurde, bei dem in unzulässiger Weise die gesetzgeberischen Grundentscheidungen durch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen ersetzt werden.
Rz. 1431
Das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass die geänderte Auslegung die gesetzliche Differenzierung zwischen Unterhaltsbedarf und Leistungsfähigkeit aufhebt. Statt die Bestimmung des Unterhaltsbedarfs nach den "ehelichen Lebensverhältnissen" der aufgelösten Ehe vorzunehmen, ersetzt sie diesen Maßstab durch den der "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnisse".
Damit wird der Unterhaltsbedarf letztlich nach den tatsächlichen Lebensverhältnissen und finanziellen Ausstattungen zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Unterhaltes festgelegt.
Rz. 1432
Eheliche Lebensverhältnisse konnten nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht vom Unterhaltsanspruch eines neuen Ehegatten geprägt sein, da dieser ohne Scheidung der Ehe gar nicht entstanden wäre. Eine Einbeziehung der Ansprüche des neuen Ehegatten in die Bemessung des Bedarfs des früheren Ehegatten war damit nicht möglich.
Rz. 1433
Nunmehr ist nach der Rechtsprechung des BGH davon auszugehen, dass alle nach der Scheidung entstandenen Unterhaltspflichten nicht als eheprägend angesehen werden können, weil diese nicht in der (alten) Ehe angelegt waren und auch bei Fortbestand der Ehe nicht entstanden wären.
Besteht eine Unterhaltspflicht sowohl gegenüber einem geschiedenen als auch einem neuen Ehegatten, so ist der Bedarf des geschiedenen Ehegatten auf der Grundlage der Einkünfte des geschiedenen Ehegatten und des Unterhaltsschuldners im Wege der Halbteilung zu ermitteln.
Rz. 1434
Der Unterhaltsanspruch der neuen Ehefrau hat keine Auswirkung auf den Unterhaltsbedarf der früheren Ehefrau nach § 1578 BGB. Der Unterhaltsanspruch der nachfolgenden Ehefrau ist allein im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen.
Der Bedarf des neuen Ehegatten bleibt dabei unberücksichtigt.
Rz. 1435
Entsprechendes gilt z.B. für den Nutzungswert sowie den damit verbundenen Finanzierungsaufwand eines erst nach Scheidung der Ehe bezogenen Wohnhauses.
Rz. 1436
Danach prägen nach Rechtskraft der Scheidung entstehende, sich verändernde Umstände die ehelichen Lebensverhältnisse nur, wenn sie
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auch bei Fortbestand der Ehe eingetreten wären; |
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in der Ehe angelegt sind; |
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oder als Surrogat anzusehen sind. |
Rz. 1437
Andere Veränderungen, wie
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der Unterhalt des neuen Ehegatten, |
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der Splittingvorteil aufgrund der neuen Ehe, Einkommenszuschläge durch die neue Ehe oder auch |
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Vorteile des Zusammenlebens mit dem neuen Ehegatten |
sind nicht auf der Ebene der neuen Lebensverhältnisse, also des Bedarfs zu berücksichtigen, sondern ggf. bei Betrachtung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten.
Rz. ...