Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
Rz. 2019
Die Grundentscheidung des BGH:
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urt. v. 11.2.2004 das Spannungsverhältnis zwischen der grundsätzlichen Disponibilität der Scheidungsfolgen einerseits und dem nicht akzeptablen unterlaufen des Schutzzweckes der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen andererseits aufgezeigt. Eine unzumutbare Lastenverteilung sei umso eher gegeben, je mehr die vertragliche Abbedingung der gesetzlichen Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreife.
Rz. 2020
Zu diesem Kernbereich gehören in erster Linie der Betreuungsunterhalt, danach aber auch Krankheitsunterhalt (§ 1572 BGB) und Unterhalt wegen Alters (§ 1571 BGB). Die Unterhaltspflicht wegen Erwerbslosigkeit (§ 1573 BGB) sei demgegenüber nachrangig, da "das Gesetz das Arbeitsplatzrisiko ohnehin auf den Berechtigten verlagert, sobald dieser einen nachhaltig gesicherten Arbeitsplatz gefunden hat". Ihr folgten Krankenvorsorge- und Altersvorsorgeunterhalt. Am ehesten verzichtbar erschienen Ansprüche auf Aufstockungs- und Ausbildungsunterhalt, "da diese Unterhaltspflichten vom Gesetz am schwächsten ausgestaltet und nicht nur der Höhe (vgl. § 1578 Abs. 1 S. 2 BGB), sondern auch dem Grunde nach zeitlich begrenzbar" seien.
Rz. 2021
Der BGH nimmt damit eine Rangabstufung bereits innerhalb der nachehelichen Unterhaltstatbestände vor und baut damit eine Prüfungsreihenfolge auf, die im Anschluss eine Gesamtschau ermöglichen soll.
Der BGH differenziert weiter zwischen den Bereichen nachehelicher Unterhalt, Versorgungsausgleich und Zugewinn in der Weise, dass der Versorgungsausgleich auf derselben Stufe rangiert wie der Altersunterhalt.
Demgegenüber erweise sich der Zugewinnausgleich ehevertraglicher Disposition am weitesten zugänglich. Die eheliche Lebensgemeinschaft sei nicht notwendig auch eine Vermögensgemeinschaft. Das Eheverständnis erfordere keine bestimmte Zuordnung des Vermögenserwerbs in der Ehe.
Der BGH konkretisiert damit den Grundsatz, dass eine Gesamtschau der getroffenen Vereinbarungen, der Gründe ihres Zustandekommens sowie der beabsichtigten und verwirklichten Gestaltung des ehelichen Lebens notwendig ist.
Rz. 2022
Zur Stufenprüfung (Kernbereichslehre) im Einzelnen:
1. Stufe: |
Unterhalt wegen Kindesbetreuung gem. § 1570 BGB; grundsätzlich unverzichtbar; |
2. Stufe: |
Alters- und Krankheitsunterhalt gem. §§ 1571, 1572 BGB sowie als vorweggenommener Altersunterhalt der Versorgungsausgleich: ebenfalls hochrangige Einstufung, aber vertraglichen Regelungen zugänglich, besonders bei Ehe- und Vertragsschluss von Ehegatten in fortgeschrittenem Alter mit gesicherter Lebensstellung, bei einer Ehe von kurzer Dauer zwischen wirtschaftlich eigenständigen jüngeren Eheleuten oder dann, wenn die Krankheit bereits bei Eheschließung vorhanden war; |
3. Stufe: |
Versorgungsausgleich; |
4. Stufe: |
Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit nach § 1573 Abs. 1 u. 4 BGB; eher disponibel, weil schon § 1573 Abs. 4 BGB das Risiko der Erwerbslosigkeit auf den Berechtigten verlagert; |
5. Stufe: |
Krankenvorsorge- und Altersvorsorgeunterhalt: disponibel; Ausnahme: Zuordnung zum Ausgleich ehebedingter Nachteile; |
6. Stufe: |
Die übrigen Unterhaltstatbestände wie Ausbildungs- (§ 1575 BGB) und Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB): am ehesten verzichtbar; |
7. Stufe: |
Volle Vertragsfreiheit bei der Wahl des Güterstandes (Ausschluss des Zugewinnausgleichs), Kontrolle über § 242 BGB aber in Sonderfällen (mangelnde "eheliche Solidarität" insbesondere: fehlende Auffangfunktion des Unterhalts) nicht ausgeschlossen. |
Rz. 2023
Unabhängig von der Wertigkeit der einzelnen "Stufen" sind vor allem zwei Aspekte zu beachten:
Zum einen ist der ehebedingte Nachteil, den ein Ehegatte aufgrund der Aufgabenverteilung in Ehe und Familien erlitten hat, immer auszugleichen.
Der BGH erklärt dazu in seiner Entscheidung vom 31.10.2012 ganz deutlich:
Zitat
Im Rahmen der Ausübungskontrolle ist es dem Unterhaltspflichtigen gem. § 242 BGB verwehrt, sich gegenüber dem Verlangen des Unterhaltsberechtigten nach einem unterhaltsrechtlichen Ausgleich von ehebedingten Nachteilen auf den ehevertraglich vereinbarten Unterhaltsverzicht zu berufen.
Für die Vertragsgestaltung erweist es sich deshalb als notwendig, Ausgleichsmechanismen für die Kompensation ehebedingter Nachteile in den Vertrag aufzunehmen.
Rz. 2024
Zum anderen ist die subjektive Seite der Vereinbarung besonders aufmerksam zu prüfen. Der BGH erklärt dazu zu Recht:
Zitat
Ein Ehevertrag kann sich in einer Gesamtwürdigung nur dann als sittenwidrig und daher als insgesamt nichtig erweisen, wenn konkrete Feststellungen zu einer unterlegenen Verhandlungsposition des benachteiligten Ehegatten getroffen worden sind. Allein aus der Unausgewogenheit des Vertragsinhaltes ergibt sich die Sittenwidrigkeit des gesamten Ehevertrages regelmäßig noch nicht.
Der BGH äußert sich damit deutlich zu den unter unfairen Bedingungen getroffenen Vereinbarungen. Der BGH erklärt, da...