Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
Rz. 1768
Betreut der Berechtigte kleine Kinder, ist von einer überobligatorischen Tätigkeit nur dann auszugehen, wenn das Kind das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Dies gilt bei Ansprüchen nach § 1570 Abs. 1 BGB ebenso wie bei solchen nach § 1615l BGB. Bei der Betreuung älterer als dreijähriger Kinder kann im konkreten Einzelfall eine überobligatorische Tätigkeit vorliegen, wenn trotz Fremdbetreuung des Kindes noch eine erhebliche persönliche Restbetreuung verbleibt. Regelmäßig wird dann die über eine Halbtagstätigkeit hinausgehende Berufstätigkeit überobligatorisch sein.
Rz. 1769
Überobligatorisch kann eine Tätigkeit auch sein, wenn der Bedürftige ein behindertes Kind betreut und daneben gearbeitet wird. Dies gilt unabhängig davon, ob Pflegegeld nach § 13 Abs. 6 SGB XI geleistet wird. Dasselbe gilt auch für den betreuungsbedürftigen Volljährigen, wenn er einer umfassenden Einzelbetreuung bedarf.
Rz. 1770
Unzumutbare Tätigkeit liegt weiter dann vor, wenn der Bedürftige nach Altersverrentung oder entsprechender Pensionierung weiterarbeitet oder Nebentätigkeiten verrichtet. Dies gilt nicht bei unterhaltsrechtlich leichtfertigem Verhalten wie der Vereinbarung von Altersteilzeit, sofern hierfür kein nachvollziehbarer Grund, etwa Erkrankung, vorliegt. Die Erwerbsobliegenheit endet erst mit der Regelaltersgrenze, weil nach Auffassung des BGH danach grundsätzlich keine Ausübung einer Berufstätigkeit mehr verlangt werden kann.
Rz. 1771
Denkbar sind aber auch Fälle, in denen eine Anrechnung ganz unterbleibt. Umgekehrt wird es auch Fälle geben, in denen eine Anrechnung vollständig zu unterbleiben hat, z.B. bei der Arbeitstätigkeit eines über 70-Jährigen.
Rechenbeispiel
1. |
Unterhaltsberechnung bei überobligatorischer Tätigkeit (Betreuung eines Kindes) |
M verfügt nach Abzug des Kindesunterhalts über ein bereinigtes Nettoeinkommen von 2.000 EUR, F aus einer Halbtagstätigkeit über ein bereinigtes Nettoeinkommen in Höhe von 800 EUR. F betreut das gemeinsame zweijährige Kind und begann erst nach der Trennung wegen der beengten finanziellen Verhältnisse zu arbeiten.
Unterhaltsanspruch von F |
Nettoeinkommen M |
2.000 EUR |
abzgl. 5 % berufsbedingte Aufwendungen |
100 EUR |
verbleibendes Einkommen |
1.900 EUR |
Einkommen F |
800 EUR |
abzgl. 5 % berufsbedingte Aufwendungen |
40 EUR |
verbleibendes Einkommen |
760 EUR |
anrechenbar wegen überobligatorischer Tätigkeit ½ |
380 EUR |
anrechenbares Einkommen M |
1.900 EUR |
anrechenbares Einkommen F |
380 EUR |
Differenzeinkommen |
1.520 EUR |
davon 45 %-Anspruch |
684 EUR |
Abwandlung:
Beispiel wie oben. Das gemeinsame Kind ist jedoch vier Jahre alt. Das Kind wird halbtags im Kindergarten betreut. Es liegt keine überobligatorische Tätigkeit vor, da die Halbtagsbetreuung des Kindes im Kindergarten eine Halbtagserwerbstätigkeit der F ermöglicht.
Unterhaltsanspruch der F |
Nettoeinkommen M |
2.000 EUR |
abzgl. 5 % berufsbedingte Aufwendungen |
100 EUR |
verbleibendes Einkommen |
1.900 EUR |
Einkommen F |
800 EUR |
abzgl. 5 % berufsbedingte Aufwendungen |
40 EUR |
verbleibendes Einkommen |
760 EUR |
anrechenbares Einkommen M |
1.900 EUR |
anrechenbares Einkommen F |
760 EUR |
Differenzeinkommen |
1.140 EUR |
davon 45 %-Anspruch |
513 EUR |
2. |
Unterhaltsberechnung bei überobligatorischer Tätigkeit (Erwerbstätigkeit im Altersruhestand) |
M ist 66-jähriger Pensionär und erhält eine Pension in Höhe von netto monatlich 2.000 EUR. Er übt eine Nebentätigkeit als Gutachter aus und verdient dadurch monatsdurchschnittlich zusätzlich netto 1.000 EUR. Die 50-jährige F ist erwerbsunfähig und erhält eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 500 EUR.
Unterhaltsanspruch der F |
Einkommen des M Pension |
2.000 EUR |
Nebentätigkeit Gutachter |
1.000 EUR |
abzgl. 5 % berufsbedingter Aufwendungen |
|
Nebentätigkeit insgesamt |
950 EUR |
hiervon anrechenbar ½-Anteil |
475 EUR |
anrechenbare Gesamteinkünfte |
2.475 EUR |
Berechnung Unterhalt F |
|
anrechenbare Gesamteinkünfte M Pension |
2.000 EUR |
Nebentätigkeit abzgl. 1/10 Erwerbsbonus (475 EUR – 48 EUR) |
427 EUR |
Gesamteinkünfte |
2.427 EUR |
anrechenbare Einkünfte F |
500 EUR |
Differenzeinkommen |
1.927 EUR |
hiervon ½-Anteil |
963,50 EUR |
Abwandlung:
M ist 71 Jahre alt und übt weiter seine Nebentätigkeit aus. Die Einkünfte aus Nebentätigkeit sind unzumutbar und wegen des hohen Alters des M nicht anrechenbar.
Berechnung Unterhalt F |
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Pension des M |
2.000 EUR |
Einkommen F |
500 EUR |
Differenzeinkommen |
1.500 EUR |
Unterhaltsanspruch F |
750 EUR |
Rz. 1772
Dies gilt auch bei Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit, selbst wenn es in bestimmten Berufen, wie z.B. demjenigen des Notars, üblich ist, auch über die Vollendung des 65. Lebensjahres hinaus tätig zu sein. Das Notaramt endet mit Vollendung des 70. Lebensjahres.
Rz. 1773
Neben den beiden Hauptanwendungsfällen, der Betreuung kleiner Kinder und des Erreichens der Regelaltersgrenze liegt weiter auch dann grundsätzlich unzumutbare Tätigkeit vor, wenn der Berechtigte nach der Trennung trotz ausreichender Bemühungen keine angemessene Arbeitstätigkeit im Sinne des § 1574 Abs. 2 BGB findet und deshalb ...