Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
Rz. 424
Wann und in welchem Umfang eine Erwerbsobliegenheit der Ehegatten beginnt oder eine Ausweitung notwendig ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalles. Gleichwohl können Kriterien für die Zumutbarkeitsabwägung je nach Lage des konkreten Einzelfalles zusammengefasst werden:
a) Kinderbetreuung
Rz. 425
Die Betreuung von Kindern beeinflusst maßgeblich die Möglichkeit und damit auch die Notwendigkeit zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Eine Erwerbsobliegenheit scheidet deshalb aus, wenn entsprechend den zu § 1570 BGB entwickelten Grundsätzen eine Erwerbstätigkeit nicht oder nicht in größerem Umfange erwartet werden kann.
Rz. 426
Die frühere Auffassung des BGH, auch 0/8/15-Modell (mit acht Jahren des Kindes Halbtagstätigkeit, mit 15 Jahren Vollzeittätigkeit) genannt, also das sogenannte Altersphasenmodell, war nach Inkrafttreten des Unterhaltsänderungsgesetzes vom 1.1.2008 nicht mehr haltbar.
Rz. 427
Nunmehr gilt, dass sich der geschiedene Ehegatte in den ersten drei Lebensjahren des Kindes vollständig der Betreuung und Erziehung des Kindes widmen kann, § 1570 Abs. 1 S. 1 BGB. Für die Frage der Verlängerung des Unterhaltsanspruches nach dieser Zeit (§ 1570 Abs. 1 S. 2 BGB) hat der BGH den Vorrang der Fremdbetreuung des Kindes postuliert.
Rz. 428
Für die Zeit ab Vollendung des dritten Lebensjahres gilt der Vorrang der Fremdbetreuung. Der BGH hatte denn auch in allen Fällen, in denen Obergerichte de facto das Altersphasenmodell fortgeschrieben hatten diese Entscheidungen aufgehoben und ein Altersphasenmodell für das neue Recht – auch in modifizierter Form – eindeutig abgelehnt. In den Folgeentscheidungen hat der BGH ausdrücklich den Vorrang der persönlichen Betreuung gegenüber anderen kindgerechten Betreuungsmöglichkeiten ausdrücklich aufgegeben.
Ab einem Alter des betreuten Kindes von drei Jahren dient, so der BGH, die Fremdbetreuung, also eine anderweitige Betreuungsmöglichkeit dem wohlverstandenen Interesse des Kindes, insbesondere dem Ausbau seines sozialen Verhaltens. Die Fremdbetreuung sei ab Vollendung des dritten Lebensjahres mit dem Kindeswohl vereinbar.
Rz. 429
Der Gesetzgeber hat allerdings davon abgesehen, im Rahmen der Änderung des § 1570 BGB auch § 1361 Abs. 2 BGB zu ändern und hat die Verschärfung der Erwerbsobliegenheit ausschließlich für den nachehelichen Unterhalt geregelt. Mit der Verfestigung der Trennung und namentlich mit der Einreichung des Scheidungsantrages gleichen sich die Obliegenheiten zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit jedoch an. Dasselbe gilt, wenn die Beteiligten eine notarielle Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung geschlossen haben.
Rz. 430
Gleichwohl gilt, dass auch in den Fällen, in denen die außerhäusliche Betreuung der Kinder gesichert ist, innerhalb des ersten Jahres nach der Trennung eine entsprechende Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bzw. Ausweitung dieser Tätigkeit nicht verlangt werden kann.
Rz. 431
Die Versöhnung und Wiederaufnahme der Ehe wird während des ersten Jahres immer noch in der Realität so gut möglich sein, dass eine Forderung des endgültigen Scheiterns der Ehe unangemessen ist. Anderes kann lediglich dann gelten, wenn kurz vor Ablauf des Trennungsjahres der Scheidungsantrag bereits eingereicht wird.
Rz. 432
Durch Abschluss einer notariellen Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung verfestigt sich die Trennung zwar wesentlich, jedoch ist auch dann eine Wiederaufnahme der Ehe im Rahmen des ersten Trennungsjahres noch möglich. Die Verpflichtung zur Aufnahme oder Ausweitung einer Erwerbstätigkeit wird aber auch in solchen Fällen unmittelbar nach Ablauf des Trennungsjahres einsetzen.
Rz. 433
Die Kriterien zur Betreuung gemeinschaftlicher Kinder gelten im Bereich des Trennungsunterhaltes im Gegensatz zum nachehelichen Unterhalt auch bei der Betreuung nicht gemeinschaftlicher Kinder, etwa von Kindern aus früherer Ehe, der Betreuung eines vorehelichen Kindes oder der Betreuung von Pflegekindern. Ebenso gilt dies für ein während der Ehe von dem Unterhaltsberechtigten Ehegatten betreutes Kind des anderen Ehepartners.
Rz. 434
Schließlich gilt dies ebenso für nach der Trennung geborene nichteheliche Kinder. Auch diese Kinder prägen die ehelichen Lebensverhältnisse. Bis zur Scheidung besteht die Versöhnungsmöglichkeit der Eheleute fort.
Rz. 435
Gibt die Ehefrau allerdings ihre bisher ausgeübte Arbeitstätigkeit wegen der Geburt eines Kindes auf, das nicht von ihrem Ehemann stammt, so tritt der Anspruch auf Trennungsunterhalt hinter einen gleichzeitig bestehenden Anspruch aus § 1615l BGB zurück.
Rz. 436
Die Betreuung darf allerdings nicht im Widerspruch zu einer etwaigen Sorgerechtsregelung bestehen. Sie muss berechtigt erfolgen.