Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
Rz. 2033
Im Laufe der Entwicklung seit dem Urteil des BGH zur Kernbereichslehre im Jahre 2004 betont der BGH tendenziell mehr und mehr die Anpassung des Ehevertrages an die gegenwärtigen Verhältnisse und damit den Ausgleich entstandener ehebedingte Nachteile.
Schließlich hat der BGH auch in seinen neuesten Entscheidungen die Vertragsfreiheit betont und seinen Standpunkt verdeutlicht, dass namentlich der Zugewinnausgleich einer ehevertraglichen Disposition am weitesten zugänglich und ein Ausschluss des gesetzlichen Güterstandes regelmäßig nicht sittenwidrig, also im Wege der Bestandskontrolle nicht zu beanstanden sei.
Rz. 2034
Es gilt mehr denn je, dass die Ehegatten mit dem Ausschluss des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft lediglich von einer im Gesetz eröffneten Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch machen.
Die Ehevertragsfreiheit hat weiterhin Bestand, wenn auch mit Einschränkungen, die sich aber ausschließlich auf den Kernbereich der Scheidungsfolgen beziehen.
Die Vertragsfreiheit ist schon deshalb erforderlich, weil das Scheidungsfolgenrecht keinen zu lebenden Ehetypus vorschreibt. So, wie Eheleute frei darin sind, ihre Ehe inhaltlich zu gestalten, sind sie auch frei darin, die Folgen des Scheiterns ihrer Ehe zu regeln.
Rz. 2035
Die Grenze der Freiheit zur Regelung der Folgen eines Scheiterns der Ehe kann nur in der Verletzung des zwingenden Schutzzwecks der gesetzlichen Regelung liegen.
Dieser Schutzzweck ist nach Auffassung des BGH unterlaufen, wenn eine
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evident einseitige Lastenverteilung nicht |
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durch eine individuelle Gestaltung der Ehe gerechtfertigt sein kann und |
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die Lastenverteilung für einen Ehegatten unzumutbar ist. |
Rz. 2036
Unzumutbar ist eine Lastenverteilung nach Auffassung des BGH vor allem dann, wenn die Vereinbarung unter unfairen Bedingungen zustande gekommen ist.
Der BGH erklärt, dass eine Beanstandung sich insbesondere aus Umständen außerhalb der Vertragsurkunde ergeben kann, die eine subjektive Imparität insbesondere infolge der Ausnutzung einer Zwangslage, einer sozialen oder wirtschaftlichen Abhängigkeit oder einer intellektuellen Unterlegenheit beweisen. Insofern relativiert der BGH die Rangabstufung im Rahmen der Kernbereichslehre des Scheidungsfolgenrechts unter Heranziehung subjektiver Maßstäbe.
Rz. 2037
Insgesamt bedeutet dies, dass es nunmehr auch verstärkt auf die subjektive Seite ankommt. Im ersten Leitsatz des Urteils des BGH vom 31.10.2012 heißt es:
Zitat
"Ein Ehevertrag kann sich in einer Gesamtwürdigung nur dann als sittenwidrig und daher als insgesamt nichtig erweisen, wenn konkrete Feststellungen zu einer unterlegenen Verhandlungsposition des benachteiligten Ehegatten getroffen worden sind. Allein aus der Unausgewogenheit des Vertragsinhaltes ergibt sich die Sittenwidrigkeit des gesamten Ehevertrages regelmäßig noch nicht."
Kommt aber zur Unausgewogenheit hinzu, dass zum Zeitpunkt der Beurkundung beispielsweise eine Krankheitssituation vorgelegen hat, die zu einem großen persönlichen Druck der belasteten Partei führte, ist die Sittenwidrigkeit zu bejahen.
Eine bevorstehende Operation indiziert eine solche Drucksituation jedoch nicht.
Rz. 2038
Die Feststellungen zur unterlegenen Verhandlungsposition, zu einer Situation bei Beurkundung des Ehevertrages, die durch intellektuelle Unterlegenheit, Abhängigkeit oder eine Notsituation ohne zumutbaren Ausweg zu Lasten eines Ehegatten geprägt war, korrespondieren mit der Belehrung durch den beurkundenden Notar.
Zwar ist nach der Rechtsprechung des BGH nicht schon deshalb eine subjektive Imparität zu verneinen, weil der Notar ordnungsgemäß belehrt hat. Der Verfahrensablauf kann jedoch dazu führen, dass eine subjektive Imparität zu verneinen ist.
Dies ist dann der Fall, wenn sich der betroffene Ehegatte etwa lange und mit Vorbesprechungen bei dem Notar über die Regelungen Gedanken machen und sie für sich abwägen konnte. Ergibt sich entsprechendes aus den Hinweisen zu den Belehrungen des Notars in der Urkunde, wird man regelmäßig nach der Rechtsprechung des BGH eine subjektive Imparität und deshalb eine Sittenwidrigkeit des Vertrages verneinen müssen.
Rz. 2039
Neben umfangreichen Belehrungen können auch lange andauernde Verhandlungen dazu führen, eine subjektive Imparität zu verneinen.
So hat der BGH das Vorliegen einer subjektiven Imparität trotz erheblicher entsprechender objektiver Anhaltspunkte im Vertrag verneint, weil die Beteiligten monatelang unter Einschaltung beratender Rechtsanwälte mit Entwurf und Gegenentwurf über den Inhalt der Urkunde verhandelt hatte.
Rz. 2040
Umgekehrt kann die fehlende Übersendung eines Vertragsentwurfs etwa wegen Überrumpelung für subjektive Imparität sprechen. Dies wird in der Praxis aber eher die Ausnahme sein.
Eheverträge werden nach der Entwicklung der Rechtsprechung in Richtung größerer Vertragsfreiheit zukünftig weniger leicht angreifbar sein, auch wenn der Grundsatz gleichmäßigen Profitierens am Ergebnis e...