Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
Rz. 738
Wenn und soweit der Übergang des Unterhaltsanspruches auf den Sozialhilfeträger eine unbillige Härte darstellen würde, ist der Anspruchsübergang ausgeschlossen. Vorrangig ist jedoch zu prüfen, ob und ggf. inwieweit der Unterhaltsanspruch nach bürgerlichem Recht verwirkt und damit erloschen ist. Hat der Unterhaltsberechtigte seine Bedürftigkeit durch sein Verhalten mit verursacht, ist dies nur durch den Gesichtspunkt der Verwirkung zu beurteilen.
§ 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII hat die Härteregelung des § 91 Abs. 2 S. 2 BFAG inhaltlich unverändert übernommen. Auf die bisherige Rechtsprechung kann daher zurückgegriffen werden. Ob eine unbillige Härte vorliegt, ist im Rahmen einer Einzelfallprüfung auf der Grundlage der wandelnden Anschauung der Gesellschaft zu klären.
Rz. 739
Als unbestimmter Rechtsbegriff ist die Härte, obwohl ihrer Natur nach dem öffentlichen Recht zugehörig, von den Familiengerichten voll nachprüfbar. Der Sozialhilfeträger hat insoweit keinen Ermessensspielraum. Eine unbillige Härte kann auf Seiten des Leistungsberechtigten und des Unterhaltspflichtigen kommen, sie kann aufgrund materieller oder immaterieller Umstände bestehen. Betrifft sie lediglich einen Teil des Unterhaltsanspruchs, geht nur der verbleibende Restanspruch über.
Rz. 740
Liegt eine Härte nur in der Person eines von mehreren Unterhaltspflichten vor, erhöht dass nicht die Haftungsanteile der Übrigen.
Bei der Auslegung der Härteklausel sind zu berücksichtigen
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die Zielsetzung der Hilfe, |
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die allgemeinen Grundsätze der Sozialhilfe, |
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die wirtschaftlichen und persönlichen Belange und Beziehungen innerhalb der Familie und deren sozialen Lage. |
Rz. 741
Da § 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB XII ausdrücklich regelt, bei welchen wirtschaftlichen Verhältnissen des Unterhaltspflichtigen dieser vom Sozialhilfeträger nicht wirksam zu Unterhaltsleistungen herangezogen werden kann, werden wirtschaftliche Gesichtspunkte allein allenfalls ausnahmsweise einen Härtefall darstellen. Gleiches gilt für den psychischen Druck, den der Unterhaltspflichtige infolge seiner Heranziehung auf den Unterhaltsberechtigten ausüben mag.
Rz. 742
Eine unbillige Härte ist anzunehmen, wenn durch den Anspruchsübergang soziale Belange vernachlässigt werden, wenn also nach dem sozialen Beziehungsverhältnis zwischen Unterhaltsberechtigten und Verpflichteten von letzterem nicht verlangt werden kann, sich nun auch noch unterhaltsmäßig in die Pflicht nehmen zu lassen. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn der Grundsatz der familiengerechten Hilfe (§ 16 SGB XII) oder der offenen Hilfe (§ 13 Abs. 1 S. 2 SGB XII) ein Absehen von der Heranziehung als geboten erscheinen lässt, weil z.B.
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hierdurch das weitere Verbleiben des Leistungsberechtigten im Familienverband gefährdet erscheint, |
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die Heranziehung angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Unterhaltspflichtigen, vor allem mit Rücksicht auf Schwere und Dauer des Bedarfs des Leistungsberechtigten, zwar in einer nachhaltigen und unzumutbaren Beeinträchtigung seiner Person oder der übrigen Familienmitglieder führen würde, |
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der Unterhaltspflichtige den Leistungsberechtigten vor Einsetzen der Sozialhilfeleistungen über das Maß seiner Unterhaltspflicht hinaus betreut und gepflegt hat, |
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die Familienbande zumindest stark gelockert sind, |
die Zielsetzung der Hilfe im Frauenhaus in der Gewährung von Schutz und Zuflucht vor dem gewalttätigen Ehegatten besteht und dieses Ziel durch die Mitteilung der Hilfe an den Unterhaltspflichtigen gefährdet erscheint.
Rz. 743
Nach § 24 Abs. 3 S. 2 SGB XII hat der Sozialhilfeträger die Einschränkung des Übergangs nur zu berücksichtigen, wenn er von ihren Voraussetzungen durch vorgelegte Nachweise oder auf andere Weise Kenntnis hat. Er braucht keine dahingehenden Nachforschungen anzustellen. Im Unterhaltsrechtsstreit trifft den Unterhaltspflichtigen deshalb insoweit die Darlegungs- und Beweislast.
Unterhaltsansprüche bei Leistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten an den Leistungsberechtigten gemäß § 68 Abs. 2 S. 2 SGB XII: Für diesen Fall schließt § 68 SGB XII den Übergang des Unterhaltsanspruches des Leistungsberechtigten auf den Sozialhilfeträger ausdrücklich aus, soweit dadurch der Erfolg der Hilfe gefährdet würde.