Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
1. Der Unterhaltsbedarf als gesamter Lebensbedarf (Grundlagen)
Rz. 1420
§ 1578 BGB bestimmt den Bedarf für alle Tatbestände des nachehelichen Unterhaltes nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Nach § 1578 Abs. 1 S. 2 BGB umfasst der nacheheliche Unterhalt den gesamten Lebensbedarf. Zu diesem gesamten Lebensbedarf gehören die Kosten zur Deckung elementarer Bedürfnisse wie verschiedenste weitere Kosten, beispielsweise eine angemessene Versicherung für den Fall der Krankheit, Kosten einer Schulausbildung, Fortbildung oder Umschulung sowie möglicherweise auch plötzlich entstehender erhöhter Bedarf (Sonderbedarf).
Rz. 1421
Nach § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB sind die ehelichen Lebensverhältnisse zentraler Maßstab und Anknüpfungspunkt für die Höhe jedes Anspruchs auf Ehegattenunterhalt. Durch diese Anknüpfung soll dem berechtigten Ehegatten der erreichte Lebensstandard für die Zukunft erhalten bleiben und ein Ehegatte vor sozialem Abstieg bewahrt werden.
Rz. 1422
Dieser Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen stellt allerdings die Obergrenze eines Unterhaltsanspruchs dar. Im Einzelfall kann der Unterhaltsanspruch geringer sein, ausgehend vom Unterhaltstatbestand oder bezogen auf eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen.
Die Leistung von Unterhalt dient aber ausschließlich zur Finanzierung der Lebenshaltungskosten. Der Bedarf umfasst damit nicht Mittel zur Vermögensbildung oder zur Abtragung von Schulden.
Rz. 1423
Der Unterhaltsbedarf als gesamter Lebensbedarf ist in folgende Bedarfsbereiche zu gliedern:
Rz. 1424
Zum Elementarbedarf zielen alle regelmäßigen Aufwendungen für Wohnung, Ernährung, Kleidung, Bildung, Erholung, Freizeitgestaltung, Gesundheitsvorsorge, geistige und kulturelle Interessen sowie sonstige und persönliche gesellschaftliche Bedürfnisse.
Rz. 1425
Unter Umständen kann zusätzlich ein regelmäßiger Mehrbedarf bestehen, der durch den Elementarbedarf nicht abgedeckt ist. Es handelt sich dabei um regelmäßig anfallende Mehraufwendungen über einen längeren Zeitraum aufgrund besonderer im Gesetz genau normierter Umstände.
Rz. 1426
Sonderbedarf ist ein nicht vorhersehbarer, unregelmäßiger, außerordentlich hoher Bedarf. Hierzu kann vorübergehender Nachhilfeunterricht gehören, eventuell eine teure Klassenfahrt ins Ausland etc.
2. Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen
Rz. 1427
Nach § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt sich das Maß des Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen. § 1361 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt, dass ein Ehegatte vor dem anderen den "nach den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen der Eheleute angemessenen Unterhalt" verlangen kann. Die Bestimmungen sind inhaltsgleich und sind maßgebend für die Unterhaltsbemessung nach den "ehelichen Lebensverhältnissen".
Die ehelichen Lebensverhältnisse bilden damit den Maßstab für die Höhe jedes Anspruchs auf Ehegattenunterhalt sowohl hinsichtlich des nachehelichen Unterhalts als auch hinsichtlich des Trennungsunterhalts.
Rz. 1428
Mit dem Begriff der ehelichen Lebensverhältnisse waren nach ursprünglicher Auffassung des BGH alle Verhältnisse gemeint, die für den Lebenszuschnitt in der Ehe und damit für den ehelichen Lebensstandard bestimmend waren. Hierzu gehörten die wirtschaftlichen Verhältnisse, also Einkommen und Vermögen sowie sämtliche Belastungen.
Nach der geänderten Surrogatrechtsprechung des BGH fallen hierunter nunmehr auch alle sonstigen beruflichen, gesundheitlichen, familiären und andere ähnliche Faktoren, die für den Lebenszuschnitt von Bedeutung waren, insbesondere die Haushaltsführung und Kinderbetreuung des in der Ehe nicht berufstätigen Ehegatten.
Rz. 1429
Mit Urt. v. 15.3.2006 hat der BGH sodann das Konstrukt der sog. wandelbaren Lebensverhältnisse eingeführt.
Danach waren alle nach der Scheidung eintretenden, nicht eheprägenden Umstände auf der Ebene des Bedarfs zu berücksichtigen, auch wenn sie zu einer Absenkung des Bedarfs führten. Darunter fielen sämtliche nach der Scheidung entstandenen Verbindlichkeiten, soweit sie berücksichtigungsfähig waren und auch alle Unterhaltspflichten, gleichgültig, ob sie vorrangig, gleichrangig oder nachrangig waren.
Rz. 1430
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung mit seiner Entscheidung vom 25.1.2011 im Hinblick auf die Einbeziehung des Unterhalts des neuen Ehegatten in die Bedarfsermittlung für verfassungswidrig erklärt.
Es hat festgestellt, dass mit der vom BGH entwickelten Methode bei der Berechnung des nachehelichen Unterhalts die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschritten worden sind und ein Systemwechsel eingeleitet wurde, bei dem in unzulässiger Weise die gesetzgeberischen Grundentscheidungen durch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen ersetzt werden.
Rz. 1431
Das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass die geänderte Auslegung die gesetzliche Differenzierung zwischen Unterhaltsbedarf und Leistungsfähigkeit aufhebt. Statt die Bestimmung des Unterhaltsbedarfs nach den "ehelichen Lebensverhältnissen" der aufgelösten Ehe vorzunehmen, ersetzt sie diesen Maßs...