Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
Rz. 1761
Nach § 1577 Abs. 2 S. 1 BGB verbleiben Einkünfte aus unzumutbarer Erwerbstätigkeit dem Berechtigten anrechnungsfrei, soweit sie zusammen mit dem eigenen Einkommen aus zumutbarer Arbeit und dem geschuldeten Unterhalt den vollen Unterhalt nicht übersteigen.
Rz. 1762
Übt der Unterhaltsgläubiger eine unzumutbare Tätigkeit aus, bleibt er bedürftig, wenn das erzielte und nur nach § 1577 Abs. 2 BGB anrechenbare Einkommen seinen Unterhaltsbedarf nicht deckt.
Rz. 1763
Völlig unangetastet bleiben Einkünfte aus unzumutbarer Tätigkeit jedoch nur ausnahmsweise. In begrenztem Umfang sind solche Einkünfte auch zur Entlastung des Schuldners heranzuziehen.
Grundsätzlich gelten im Mangelfall allerdings bei der Frage der Zumutbarkeit stark erhöhte Anforderungen.
Rz. 1764
Der wesentliche Anwendungsbereich des § 1577 Abs. 2 BGB liegt bei einer neben der Kindesbetreuung fortgesetzten oder nach Trennung ohne entsprechende Obliegenheit aufgenommenen Erwerbstätigkeit sowie bei Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit über das Rentenalter hinaus.
1. Grenzen zumutbarer Tätigkeit
Rz. 1765
Die Erwerbsobliegenheit bezieht sich ausschließlich auf zumutbare Tätigkeit. Wird der Berechtigte oder der Verpflichtete überobligationsmäßig tätig, z.B. nach Eintritt in das Rentenalter oder trotz Betreuung eines Kindes unter drei Jahren, aber auch z.B. durch Nebentätigkeit trotz Vollzeittätigkeit, handelt es sich um eine sogenannte unzumutbare Erwerbstätigkeit.
Unzumutbar ist jede Tätigkeit, für die keine Erwerbsobliegenheit besteht.
Rz. 1766
Wird eine unzumutbare Erwerbstätigkeit ausgeübt, kann der Betroffene sie jederzeit beenden, gleichgültig, ob er Unterhaltsschuldner ist oder ob er als Unterhaltsgläubiger durch Aufgabe seiner Tätigkeit seine Bedürftigkeit erhöht.
Rz. 1767
Nach § 1577 Abs. 2 BGB ist im Einzelfall zu prüfen, ob oder ggf. zu welchem Teil Einkünfte aus unzumutbarer Tätigkeit angerechnet werden. Im konkreten Einzelfall ist vorab aber festzustellen, ob es sich um Einkünfte aus einer nachhaltig erzielten, dauerhaft und damit zumutbaren oder aus einer überobligationsmäßigen, jederzeit beendbaren und damit unzumutbaren Tätigkeit handelt.
2. Unzumutbare Tätigkeit beim Berechtigten
Rz. 1768
Betreut der Berechtigte kleine Kinder, ist von einer überobligatorischen Tätigkeit nur dann auszugehen, wenn das Kind das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Dies gilt bei Ansprüchen nach § 1570 Abs. 1 BGB ebenso wie bei solchen nach § 1615l BGB. Bei der Betreuung älterer als dreijähriger Kinder kann im konkreten Einzelfall eine überobligatorische Tätigkeit vorliegen, wenn trotz Fremdbetreuung des Kindes noch eine erhebliche persönliche Restbetreuung verbleibt. Regelmäßig wird dann die über eine Halbtagstätigkeit hinausgehende Berufstätigkeit überobligatorisch sein.
Rz. 1769
Überobligatorisch kann eine Tätigkeit auch sein, wenn der Bedürftige ein behindertes Kind betreut und daneben gearbeitet wird. Dies gilt unabhängig davon, ob Pflegegeld nach § 13 Abs. 6 SGB XI geleistet wird. Dasselbe gilt auch für den betreuungsbedürftigen Volljährigen, wenn er einer umfassenden Einzelbetreuung bedarf.
Rz. 1770
Unzumutbare Tätigkeit liegt weiter dann vor, wenn der Bedürftige nach Altersverrentung oder entsprechender Pensionierung weiterarbeitet oder Nebentätigkeiten verrichtet. Dies gilt nicht bei unterhaltsrechtlich leichtfertigem Verhalten wie der Vereinbarung von Altersteilzeit, sofern hierfür kein nachvollziehbarer Grund, etwa Erkrankung, vorliegt. Die Erwerbsobliegenheit endet erst mit der Regelaltersgrenze, weil nach Auffassung des BGH danach grundsätzlich keine Ausübung einer Berufstätigkeit mehr verlangt werden kann.
Rz. 1771
Denkbar sind aber auch Fälle, in denen eine Anrechnung ganz unterbleibt. Umgekehrt wird es auch Fälle geben, in denen eine Anrechnung vollständig zu unterbleiben hat, z.B. bei der Arbeitstätigkeit eines über 70-Jährigen.
Rechenbeispiel
1. |
Unterhaltsberechnung bei überobligatorischer Tätigkeit (Betreuung eines Kindes) |
M verfügt nach Abzug des Kindesunterhalts über ein bereinigtes Nettoeinkommen von 2.000 EUR, F aus einer Halbtagstätigkeit über ein bereinigtes Nettoeinkommen in Höhe von 800 EUR. F betreut das gemeinsame zweijährige Kind und begann erst nach der Trennung wegen der beengten finanziellen Verhältnisse zu arbeiten.
Unterhaltsanspruch von F |
Nettoeinkommen M |
2.000 EUR |
abzgl. 5 % berufsbedingte Aufwendungen |
100 EUR |
verbleibendes Einkommen |
1.900 EUR |
Einkommen F |
800 EUR |
abzgl. 5 % berufsbedingte Aufwendungen |
40 EUR |
verbleibendes Einkommen |
760 EUR |
anrechenbar wegen überobligatorischer Tätigkeit ½ |
380 EUR |
anrechenbares Einkommen M |
1.900 EUR |
anrechenbares Einkommen F |
380 EUR |
Differenzeinkommen |
1.520 EUR |
davon 45 %-Anspruch |
684 EUR |
Abwandlung:
Beispiel wie oben. Das gemeinsame Kind ist jedoch vier Jahre alt. Das Kind wird halbtags im Kindergarten betreut. Es liegt keine überobligatorische Tätigkeit vor, da die Halbtagsbetreuung des Kindes im Kindergarten eine Halbtagserwer...