Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
Rz. 1931
Kommt es aufgrund der Billigkeitsabwägungen zu einer Änderung im Soll- und/oder Haben-Bereich, ist neu festzustellen, ob gleichwohl ein ungedeckter Restbedarf verbleibt.
Rz. 1932
Sind nach neuer Verrechnung die Deckungsmasse (Haben-Bereich) und der Bedarfsbereich (Sollbereich) identisch oder übersteigt die Deckungsmasse den Bedarfsbereich, liegt kein Mangelfall vor. Es bleibt bei der vorgenommenen Unterhaltsberechnung. Diese Berechnung ist jedoch bereits ein auf Billigkeitsabwägungen nach § 1581 BGB beruhender Unterhalt. Er ist bei Erlangung der vollen Leistungsfähigkeit auf den vollen Unterhalt zu erhöhen.
Rz. 1933
Liegt als Differenz ein ungedeckter Restebedarf vor, hat nach § 1581 BGB eine weitere Unterhaltskürzung zu erfolgen.
Möglich ist die Berechnung auf dreierlei Weise:
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Durch individuelle Kürzung, |
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Durch Kürzung gemäß Mangelfallberechnung, |
▪ |
Durch quotenmäßige Kürzung. |
1. Individuelle Kürzung des Fehlbedarfs
Rz. 1934
Die Kürzung der dem Berechtigten zustehenden Unterhaltsansprüche ist möglich durch individuelle Gesamtabwägung der aller Billigkeitsgesichtspunkte im Einzelnen.
Rz. 1935
Die zu berücksichtigenden Einzelfallumstände sind sowohl beim Verpflichteten als auch beim Berechtigten insbesondere:
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Einkommens- und Vermögensverhältnisse, |
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Sonstige wirtschaftliche Verhältnisse, |
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Alter, |
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Gesundheitszustand, |
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Erwerbsfähigkeit, |
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Kinderbetreuung, |
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Sonstige Belastungen, |
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Dauer der Ehe, |
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Umfang von Vorabzügen bei der Bedarfsbemessung. |
Eine individuelle Verteilung lässt sich aber nur bei Vorliegen besonderer, außergewöhnlicher Umstände rechtfertigen. Diese könnten bei Kindern eventuell damit begründet werden, dass eines der Kinder in der Lage ist, durch Erteilen von Nachhilfeunterricht hinzuzuverdienen.
2. Kürzung gemäß Mangelfallberechnung
Rz. 1936
Schließlich besteht eine weitere Möglichkeit darin, eine Aufteilung entsprechend der – üblichen – Mangelfallberechnung vorzunehmen nach der Formel
Bedarf x Verteilungsmasse : Gesamtbedarf = gekürzter Unterhalt
Bei der Berechnung ist von dem für Unterhaltsleistungen zur Verfügung stehenden Einkommen des Unterhaltsverpflichteten zunächst der notwendige Selbstbehalt abzuziehen.
Anschließend ist der Restbetrag auf die Unterhaltsberechtigten angemessen zu verteilen.
Dies geschieht in der Weise, dass die Bedarfsbeträge proportional zu kürzen sind.
Rz. 1937
Beispiel
Bereinigtes monatliches Nettoeinkommen M: 2.800 EUR. Ehebedingte Schulden M: 350 EUR. Trennungsbedingte, berücksichtigungsfähige Schulden M: 100 EUR. F verfügt über keine Einkünfte.
Bedarf der F |
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Einkommen des M |
3.400 EUR |
Abzüglich ehebedingter Schulden |
350 EUR |
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3.050 EUR |
x 45 % |
1.372,50 EUR |
Eheangemessener Bedarf des M |
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55 % x 3.050 EUR |
1.677,50 EUR |
Abzüglich trennungsbedingter Schulden |
100 EUR |
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1.577,50 EUR |
Der eheangemessene Bedarf des M von 1.650 EUR würde durch die Berücksichtigung der Verbindlichkeiten von monatlich 100 EUR unterschritten.
Da die trennungsbedingten Schulden die Ehe nicht geprägt haben, sind sie bei der Berechnung des Bedarfs nicht zu berücksichtigen.
3. Quotenmäßige Kürzung
Rz. 1938
Die weitere Möglichkeit besteht darin, eine Verteilung entsprechend der Ehegattenquote vorzunehmen. Unter Abzug des Erwerbstätigenbonus von 1/10 hat dies zur Folge, dass eine Kürzung des eheangemessenen Bedarfs des Unterhaltsberechtigten um 45 % und des Unterhaltsverpflichteten um 55 % dieses Rechnungspostens erfolgt.
Rz. 1939
Rechenbeispiel
Berechnung des obigen Beispiels
45 % von 100 EUR = |
45 EUR |
Billigkeitsunterhalt gem. § 1581 BGB: |
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1.373 EUR (eheangemessener Bedarf F) – 45 EUR = |
1.328 EUR |
Der Abzug des Erwerbstätigenbonus erfolgt nur im Falle der Erwerbstätigkeit. In den übrigen Fällen ist die Kürzung nach dem Halbteilungsgrundsatz umzulegen.
Rz. 1940
Praxistipp
Der Billigkeitsunterhalt ist in einem gerichtlichen Verfahren entsprechend zu kennzeichnen. Bei späteren Abänderungsklagen für den Fall, dass der Unterhaltsverpflichtete zusätzliche Einkünfte erzielt, verändert sich zwar die Bedarfsberechnung nach den ehelichen Lebensverhältnissen nicht; gleichwohl ist die Veränderung beachtlich, da sie die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten erhöht.
4. Einsatzbeträge
Rz. 1941
Einsatzbeträge sind diejenigen Beträge, mit denen die Unterhaltsverpflichtungen in die Mangelfallberechnung eingestellt werden.
Dies sind entweder die individuellen Bedarfsbeträge oder die Mindestbedarfssätze. An einem Mangelfall können entweder gleichrangige Ehegatten i.S.d § 1609 Nr. 2 BGB oder nichteheliche Mütter nach § 1615l BGB beteiligt sein. Zu unterscheiden ist zwischen getrenntlebenden oder geschiedenen Ehegatten einerseits und mit dem Pflichtigen zusammenlebenden – neuen – Ehegatten andererseits.
a) Getrennt lebende oder geschiedene Ehegatten
Rz. 1942
Der Einsatzbetrag für den getrenntlebenden oder geschiedenen Ehegatten richtet sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen und deren individuellem Bedarfsrahmen. Davon in Abzug zu bringen sind die...