I. Rechtscharakter

 

Rz. 30

Obliegenheiten sind keine unmittelbar erzwingbare Verbindlichkeiten, sondern bloße Verhaltensnormen (Voraussetzungen), die der Versicherungsnehmer zu erfüllen hat, wenn er seinen Versicherungsanspruch behalten will.[24]

 

Rz. 31

Der Versicherer kann nicht auf Erfüllung von Obliegenheiten klagen, es besteht nur die Sanktion der Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzungen.

 

Rz. 32

Es ist zu unterscheiden zwischen den gesetzlichen Obliegenheiten und den vertraglichen Obliegenheiten.

Die Kraftfahrtversicherung ist eine Zusammenfassung mehrerer Versicherungsverträge (Haftpflichtversicherung, Vollkaskoversicherung, Teilkaskoversicherung, Fahrerschutzversicherung), so dass Obliegenheitsverletzungen für die jeweilige Sparte getrennt zu prüfen sind.[25]

[24] Prölss/Martin/Armbrüster, § 28 VVG Rn 7 m.w.N.
[25] OLG Karlsruhe, 12 U 117/12, NJW-RR 2013, 544 = MDR 2013, 650 = VersR 2013, 1123.

II. Gesetzliche Obliegenheiten

 

Rz. 33

Zu den gesetzlichen Obliegenheiten gehört die Verpflichtung des Versicherungsnehmers,

den Eintritt des Versicherungsfalles unverzüglich anzuzeigen (§ 30 VVG),
dem Versicherer die notwendigen Auskünfte zu erteilen (§ 31 VVG),
bei Eintritt des Versicherungsfalles den Schaden nach Möglichkeit abzuwenden oder zu mindern (§ 82 VVG),
Regressansprüche des Versicherers zu wahren (§ 86 Abs. 2 VVG).

1. Anzeigepflicht (§ 30 VVG)

 

Rz. 34

Der Versicherungsnehmer hat den Eintritt des Versicherungsfalles dem Versicherer unverzüglich mitzuteilen. Eine Sanktion bei Verletzung dieser Anzeigeobliegenheit findet sich im Gesetz nicht. Es handelt sich insoweit um eine "lex imperfecta", sie hat daher nur Warnfunktion und wird nur dann relevant, wenn – wie üblich – die Anzeigepflicht in den AVB zur vertraglichen Obliegenheit wird (E.1.1.1 AKB 2015).

2. Auskunftspflicht (§ 31 VVG)

 

Rz. 35

Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, jede Auskunft zu erteilen, "die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfanges der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich ist". Auch diese Vorschrift enthält keine Sanktion bei Verletzung dieser Obliegenheit, so dass eine Obliegenheitsverletzung nur dann relevant ist, wenn sie in den AVB zum Gegenstand einer vertraglichen Obliegenheit gemacht wird (E.1.1.3 AKB 2015).

3. Schadenminderungspflicht (§ 82 VVG)

 

Rz. 36

Der Versicherungsnehmer hat bei Eintritt des Versicherungsfalles nach Möglichkeit den Schaden abzuwenden oder zu mindern (§ 82 Abs. 1 VVG; E.1.1.4 AKB 2015).

 

Rz. 37

Er hat Weisungen des Versicherers, soweit zumutbar, zu befolgen (E.1.1.4 AKB 2015), einzuholen und bei unterschiedlichen Weisungen mehrerer beteiligter Versicherer nach pflichtgemäßem Ermessen zu handeln (§ 82 Abs. 2 VVG). Die Sanktionen dieser gesetzlichen Obliegenheitsverletzung ergeben sich aus § 82 Abs. 3 VVG: Bei einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung wird der Versicherer leistungsfrei. Bei einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung ist der Versicherer berechtigt, seine Leistungen in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen.

 

Rz. 38

Aber auch hier gilt das Kausalitätsprinzip: Die Leistungsfreiheit tritt nicht ein, wenn die Obliegenheitsverletzung sich weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch des Umfangs der Leistungspflicht ausgewirkt hat.

 

Rz. 39

Der Versicherungsnehmer hat insoweit den Kausalitätsgegenbeweis zu führen (§ 82 Abs. 4 VVG).

 

Rz. 40

Das Kausalitätserfordernis entfällt nur bei Arglist (§ 82 Abs. 4 S. 2 VVG).

4. Wahrung von Regressansprüchen (§ 86 Abs. 2 VVG)

 

Rz. 41

Gemäß § 86 Abs. 1 VVG gehen alle Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Schädiger auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt. Der Versicherungsnehmer muss alles tun, um diesen Anspruch gegen den Schädiger aufrecht zu erhalten, er darf insbesondere nicht auf diesen Anspruch verzichten.

 

Rz. 42

Die Sanktion ergibt sich aus § 86 Abs. 2 S. 2 VVG: Bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung wird der Versicherer leistungsfrei, bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen.

 

Rz. 43

In beiden Fällen ist das Kausalitätserfordernis zu beachten, der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit (§ 86 Abs. 2 S. 2 VVG).

 

Beispiele

Der Arbeitgeber trifft nach einem grob fahrlässig herbeigeführten Verkehrsunfall seines Arbeitnehmers mit diesem eine Vereinbarung, dass mit der Zahlung der restlichen Bezüge zum Monatsende alle beiderseitigen Ansprüche erledigt sind ("Ausgleichsquittung").

Nach einem Verkehrsunfall erklären beide Beteiligten, dass sie wechselseitig auf Ansprüche verzichten. Hierdurch wird der Regressanspruch des beteiligten Vollkaskoversicherers/Teilkaskoversicherers vereitelt.

In beiden Fällen dürfte allenfalls grobe Fahrlässigkeit vorliegen, im Regelfall nur einfache Fahrlässigkeit, die folgenlos bleibt.

III. Vertragliche Obliegenheiten beim Gebrauch des Fahrzeuges (D AKB 2015)

1. Vorbemerkung

 

Rz. 44

Die Rechtsfolgen der Verletzung der vertraglichen Obliegenheiten treten nur ein, wenn der Versicherungsnehmer grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat. Schuldlos oder leicht fahrlässig begangene Obliegenheitsverletzungen sind folgenlos.

 

Rz. 45

Die Leistung...

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