Rz. 119
Die Rechtsfolgen der Verletzung von vertraglichen Obliegenheiten treten nur ein, wenn der Versicherungsnehmer (oder eine versicherte Person) grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat. Schuldlos oder leicht fahrlässig begangene Obliegenheitsverletzungen sind folgenlos. Die Leistungsfreiheit des Versicherers hängt nicht (mehr) davon ab, ob der Vertrag gekündigt worden ist oder ob die Obliegenheitsverletzung vor oder nach Eintritt des Versicherungsfalles begangen worden ist (entspricht § 28 VVG).
I. Grobe Fahrlässigkeit
Rz. 120
Eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung, die ursächlich für den Eintritt des Schadens oder dessen Umfang war, führt zur partiellen Leistungsfreiheit des Versicherers: Dieser kann seine Leistung "in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis" kürzen (§ 28 Abs. 2 S. 2 VVG; E.2.1 AKB 201).
1. Quotelung
Rz. 121
Im Regelfall dürfte bei einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung eine Leistungskürzung um 50 % in Betracht kommen.[127]
Ähnlich wie bei der Quotierung zu § 254 BGB sind Quoten von 20 % bis 80 % ebenso denkbar wie eine Kürzungsquote von 0 % oder 100 %.[128]
2. Mehrere Obliegenheitsverletzungen
Rz. 122
Bei mehreren grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzungen dürfte eine mehrfache Quotelung dann ausgeschlossen sein, wenn die Obliegenheiten demselben Zweck dienen und lediglich in unterschiedlicher Form ein Verhalten konkretisieren. Wenn beispielsweise ein Versicherungsnehmer alkoholbedingt fahruntüchtig, ohne Fahrerlaubnis und mit einem nicht versicherten Fahrzeug einen Schadenfall herbeiführt, dürfte von einer einheitlichen Obliegenheitsverletzung auszugehen sein, eine Addition verbietet sich. Es ist vielmehr diejenige Obliegenheitsverletzung zu berücksichtigen, die besonders schwerwiegend ist.[129] Diese "Quotenkonsumption" ist praktikabel und wird gestützt durch die bisherige Rechtsprechung zu mehrfachen Obliegenheitsverletzungen.[130]
Rz. 123
Allerdings hält der BGH eine Addition der Regressforderungen bei Obliegenheitsverletzungen vor und nach Eintritt des Versicherungsfalles für zulässig.
Rz. 124
Wenn man diese zum VVG 1908 ergangene Rechtsprechung analog auf die jetzige Rechtslage heranzieht, wäre ebenfalls eine doppelte Leistungskürzung möglich, allerdings ebenfalls nicht in Form einer Addition, vielmehr müsste die erste Quote dann nochmals gekürzt werden.
Beispiel
"Bei alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit und anschließender Unfallflucht ist zunächst eine Kürzung wegen der Fahruntüchtigkeit auf 50 % vorzunehmen. Wenn die anschließende Unfallflucht ebenfalls mit einer Kürzungsquote von 50 % berücksichtigt wird, ergibt sich eine Leistungsquote von 25 %.[131]"
3. Beweislast
Rz. 125
Der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit (§ 28 Abs. 2 VVG; E.2.1 AKB 2015).
4. Kausalität
Rz. 126
Eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung führt nur dann zur partiellen Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn diese für den Versicherungsfall, die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht ursächlich war (E.6.2 AKB 2015). Etwas anderes gilt aus Gründen der Generalprävention nur bei Arglist. Die Kausalität der Obliegenheitsverletzung wird vermutet. Der Versicherungsnehmer kann daher nur den Kausalitätsgegenbeweis in der Weise führen, dass seine Obliegenheitsverletzung im konkreten Fall nicht kausal war.[132]
II. Vorsatz (E.2.1 AKB 2015)
Rz. 127
Eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers führt zur vollständigen Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn diese Obliegenheitsverletzung ursächlich für einen Eintritt oder den Umfang des Schadens war.
1. Beweislast
Rz. 128
Der Versicherer muss den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung beweisen. Es verbleibt dem Versicherungsnehmer dann die Möglichkeit, die Vermutung für ein vorsätzliches Handeln zu entkräften. Der Versicherungsnehmer muss daher beweisen, dass er nicht vorsätzlich gehandelt hat.[133]
Rz. 129
Wenn der Versicherungsnehmer behauptet, seine falschen Angaben beruhten auf einer nachträglich eingetretenen Bewusstseinsstörung (retrograde Amnesie), ist der Versicherungsnehmer für diese Behauptung beweispflichtig.[134]
2. Kausalität
Rz. 130
Auch eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung wirkt sich nur dann aus, wenn dies ursächlich für den Schaden oder dessen Feststellung ...
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