Dr. iur. Thilo Mahnhold, Dr. Claudia Schramm
Rz. 60
Vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung, muss ein wirksamer Widerrufsvorbehalt kumulativ folgende Anforderungen erfüllen:
a) Inhaltskontrolle
Rz. 61
Der Kernbereich des Anstellungsverhältnisses bleibt von einem Widerrufsvorbehalt nach der bislang ergangenen Rechtsprechung grundsätzlich unangetastet, wenn der widerrufliche Vergütungsanteil einen Bereich von 25 % – 30 % der Gesamtvergütung nicht überschreitet. Dabei darf die Grundvergütung selbst nicht Gegenstand des Widerrufsvorbehalts sein. Widerruflich ausgestaltet werden können vielmehr klassische Nebenleistungen (Weihnachtsgeld, Treueprämien, Jubiläumszahlungen, Provisionen, Zulagen, sonstige Gratifikationen). Nach der Rechtsprechung muss der im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende widerrufliche Teil des Gesamtverdienstes unter 25 % liegen und der Tariflohn darf nicht unterschritten werden. Sind darüber hinaus Zahlungen des Arbeitgebers widerruflich, die nicht eine unmittelbare Gegenleistung für die Arbeitsleistung darstellen, sondern Ersatz für Aufwendungen sind, die an sich der Arbeitnehmer selbst tragen muss, erhöht sich der widerrufliche Teil der Arbeitsvergütung auf bis zu 30 % des Gesamtverdienstes. Da der Arbeitgeber – vergleichbar dem Tariflohn – auch über den Mindestlohn nicht disponieren darf (§ 3 S. 1 MiLoG), wird vielfach vertreten, dass bei einem wirksamen Widerrufsvorbehalt auch der Mindestlohn nicht unterschritten werden dürfe. Eine höchstrichterliche Entscheidung hierzu steht bislang aus.
b) Widerrufsgrund, Transparenzanforderungen
Rz. 62
Die Vereinbarung eines Widerrufsrechts ist nach § 308 Nr. 4 BGB nur dann zumutbar, wenn es für den Widerruf einen sachlichen Grund gibt und dieser sachliche Grund bereits in der Änderungsklausel beschrieben ist. Die Widerrufsklausel hat sich auf die Fälle zu beschränken, in denen ein anzuerkennender Sachgrund besteht. Der Sachgrund muss in der Klausel in einer Weise konkretisiert werden, die für den Arbeitnehmer deutlich macht, was gegebenenfalls auf ihn zukommt. Um den formellen Anforderungen von § 308 Nr. 4 BGB gerecht zu werden, muss bei den Widerrufsgründen zumindest die Richtung angegeben werden, aus der der Widerruf möglich sein soll, z.B. wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers. In Bezug auf den Entzug eines auch privat genutzten Dienstwagens genügt insoweit, dass der Arbeitnehmer im Falle einer Freistellung mit dem Entzug der Privatnutzung rechnen muss. In einer neueren Entscheidung hat das BAG es insoweit ausreichen lassen, dass der Arbeitnehmer im Fall einer "wirtschaftlichen Notlage" mit dem Widerruf der zugesagten Zahlung eines Weihnachtsgelds rechnen muss; eine weitergehende Konkretisierung wurde nicht gefordert. Als weitere mögliche Widerrufsgründe wurden vom BAG auch ein "negatives wirtschaftliches Ergebnis der Betriebsabteilung", ein "nicht ausreichender Gewinn", ein "Rückgang der bzw. Nichterreichen der erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung", eine "unterdurchschnittliche Leistungen des Arbeitnehmers" sowie "schwerwiegende Pflichtverletzungen" genannt. Schließlich ist auch zu beachten, dass die Verbindung von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt widersprüchlich und daher intransparent ist: Ein Freiwilligkeitsvorbehalt, der das Entstehen einer Rechtspflicht gerade verhindern soll, kann bereits denklogisch nicht mit einer Regelung verknüpft werden, die gerade das Bestehen eines Anspruchs voraussetzt.
c) Ausübungskontrolle
Rz. 63
Neben der Inhaltskontrolle der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Widerrufsklausel steht die Ausübungskontrolle gem. § 315 BGB. Die Erklärung des Widerrufs stellt eine Bestimmung der Leistung durch den Arbeitgeber nach § 315 Abs. 1 BGB dar. Der Widerruf muss im Einzelfall billigem Ermessen entsprechen; dabei werden zum einen die geregelten tatbestandlichen Voraussetzungen des Widerrufsrechts geprüft. Zum anderen kommt es aber auch darauf an, ob z.B. ein Verstoß gegen den Allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz etc. vorliegt.