Dr. iur. Thilo Mahnhold, Dr. Claudia Schramm
I. Musterklausel
Rz. 109
Muster 3.17: Öffnung für Betriebsvereinbarungen
Muster 3.17: Öffnung für Betriebsvereinbarungen
Auf das Arbeitsverhältnis finden derzeit keine Betriebsvereinbarungen Anwendung. Die Parteien sind sich darüber einig, dass gegebenenfalls zukünftig auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findende Betriebsvereinbarungen den Regelungen in diesem Vertrag auch dann diese ablösend vorgehen, wenn die Regelungen der Betriebsvereinbarungen für den Arbeitnehmer ungünstiger als die vertraglichen Regelungen sein sollten.
II. Grundlagen
Rz. 110
Der Inhalt arbeitsvertraglicher Rechte und Pflichten wird durch verschiedene Rechtsquellen bestimmt. Zu diesen Quellen können Kollektivvereinbarungen wie etwa Betriebsvereinbarungen gehören. Sind einschlägige Betriebsvereinbarungen bei Vertragsschluss vorhanden oder werden sie später geschlossen, ist die Frage der Wechselwirkung zwischen Betriebsvereinbarungs- und Arbeitsvertragsregelungen von großer Bedeutung, um den arbeitsvertraglichen Pflichtenkanon zu bestimmen. Dies wirkt sich letztlich auch auf die zweckmäßige Vertragsgestaltung aus. Betriebsvereinbarungen wirken aufgrund § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG normativ ("unmittelbar und zwingend") auf die Arbeitsverhältnisse ein. Allerdings wird – ähnlich wie in § 4 Abs. 3 TVG – dem Arbeitsvertrag bei einer günstigeren Regelung an sich Vorrang eingeräumt. Um dem grundsätzlich zur Anwendung kommenden Günstigkeitsprinzip entgegenzuwirken, kann ein Arbeitsvertrag eine Öffnungsklausel für Betriebsvereinbarungen vorsehen, welche die Durchbrechung dieses Prinzips ermöglicht. Diese Möglichkeit sollte sowohl dann erwogen werden, wenn noch kein Betriebsrat besteht als auch dann, wenn bereits ein Betriebsrat gebildet wurde, für bestimmte Fragen aber zum Beispiel noch keine mitbestimmten Regelungen geschaffen wurden (zum alternativen Klauselvorschlag für diese Situation siehe Rdn 116 f.). Bei Erwägung dieser Gestaltungsmöglichkeit sollte auch eine Vereinbarung einer vergleichbaren Öffnungsklausel für Tarifverträge erwogen werden (vgl. zu Bezugnahmeklauseln auf Tarifverträge Rdn 94 ff.).
III. Hinweise zur Vertragsgestaltung
Rz. 111
Der 1. Senat des BAG hat im Jahr 2013 – insbesondere vor dem Hintergrund der auf § 307 Abs. 1 S. 2 BGB gestützten "Transparenz-Offensive" ein wenig überraschend – die bereits zuvor diskutierte Betriebsvereinbarungsoffenheit von arbeitsvertraglichen Regelungen wieder populär gemacht. Quintessenz dieser Entscheidung war, dass nach Auffassung des Senats allein aus der Tatsache, dass ein Vertragsgegenstand in AGB geregelt ist, für Arbeitnehmer erkennbar folge, dass die Regelung dieses Vertragsgegenstandes offen für nachträgliche Änderungen durch kollektive Regelungen sein soll. Dies soll sogar in dem Fall gelten, dass zu Lasten des Arbeitnehmers von den bisherigen arbeitsvertraglichen Regelungen abgewichen wird. Eine ausdrückliche Regelung hierzu sei nicht erforderlich, die Vereinbarung der Betriebsvereinbarungsoffenheit könne vielmehr konkludent erfolgen. Da Allgemeine Geschäftsbedingungen ebenso wie Bestimmungen in einer Betriebsvereinbarung auf eine Vereinheitlichung der Regelungsgegenstände gerichtet seien, könne aus Sicht eines verständigen und redlichen Arbeitnehmers nicht zweifelhaft sein, dass es sich bei den vom Arbeitgeber gestellten Arbeitsbedingungen um solche handele, die einer Änderung durch Betriebsvereinbarung zugänglich seien. Etwas anderes gelte nur dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich Vertragsbedingungen vereinbaren, die unabhängig von einer für den Betrieb geltenden normativen Regelung Anwendung finden sollten.
Rz. 112
Das BAG entwickelte diese Rechtsprechung aus vorhergehenden Entscheidungen weiter, die sich vor allem mit betrieblichen Einheitsregelungen und Gesamtzusagen befassten. In diesen Entscheidungen führt das BAG aus, dass im Verhältnis von in arbeitsvertraglichen allgemeinen Geschäftsbedingungen getroffenen Regelungen und diese ablösenden Betriebsvereinbarungen die Zeitkollisionsregel Anwendung finde. Dies legt den Schluss nahe, dass die bisherige arbeitsvertragliche Regelung nicht nur für die Dauer der (normativen) Anwendbarkeit der Betriebsvereinbarung verdrängt, sondern dauerhaft abgelöst wird und auch nach Entfall der Betriebsvereinbarung nicht wiederauflebt.
Rz. 113
Zu beachten ist aber, dass die geschilderte Rechtsprechung u.a. angesichts der möglichen Tragweite – potenziell könnten danach sämtliche Vereinbarungen der Vertragsparteien durch die Betriebsparteien abgeändert werden – insbesondere durch den 4. Senat des BAG stark kritisiert wurde. Der 4. Senat hat in seiner Entscheidung aus April 2018 in einem obiter dictum ausdrücklich eine von der Auffassung des 1. Senats abweichende Ansicht vertreten, dies zumindest mit Blick auf die konkludente Vereinbarung einer Betriebsvereinbarungsoffenheit. Nach Ansicht des 4. Senats könne von dem Vorbehalt einer ablösenden Betriebsvereinbarungsoffenheit nur ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber einen solchen Vorbehalt klar und verständlich zum Ausdruck gebracht hat.