Dr. iur. Thilo Mahnhold, Dr. Claudia Schramm
Rz. 111
Der 1. Senat des BAG hat im Jahr 2013 – insbesondere vor dem Hintergrund der auf § 307 Abs. 1 S. 2 BGB gestützten "Transparenz-Offensive" ein wenig überraschend – die bereits zuvor diskutierte Betriebsvereinbarungsoffenheit von arbeitsvertraglichen Regelungen wieder populär gemacht. Quintessenz dieser Entscheidung war, dass nach Auffassung des Senats allein aus der Tatsache, dass ein Vertragsgegenstand in AGB geregelt ist, für Arbeitnehmer erkennbar folge, dass die Regelung dieses Vertragsgegenstandes offen für nachträgliche Änderungen durch kollektive Regelungen sein soll. Dies soll sogar in dem Fall gelten, dass zu Lasten des Arbeitnehmers von den bisherigen arbeitsvertraglichen Regelungen abgewichen wird. Eine ausdrückliche Regelung hierzu sei nicht erforderlich, die Vereinbarung der Betriebsvereinbarungsoffenheit könne vielmehr konkludent erfolgen. Da Allgemeine Geschäftsbedingungen ebenso wie Bestimmungen in einer Betriebsvereinbarung auf eine Vereinheitlichung der Regelungsgegenstände gerichtet seien, könne aus Sicht eines verständigen und redlichen Arbeitnehmers nicht zweifelhaft sein, dass es sich bei den vom Arbeitgeber gestellten Arbeitsbedingungen um solche handele, die einer Änderung durch Betriebsvereinbarung zugänglich seien. Etwas anderes gelte nur dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich Vertragsbedingungen vereinbaren, die unabhängig von einer für den Betrieb geltenden normativen Regelung Anwendung finden sollten.
Rz. 112
Das BAG entwickelte diese Rechtsprechung aus vorhergehenden Entscheidungen weiter, die sich vor allem mit betrieblichen Einheitsregelungen und Gesamtzusagen befassten. In diesen Entscheidungen führt das BAG aus, dass im Verhältnis von in arbeitsvertraglichen allgemeinen Geschäftsbedingungen getroffenen Regelungen und diese ablösenden Betriebsvereinbarungen die Zeitkollisionsregel Anwendung finde. Dies legt den Schluss nahe, dass die bisherige arbeitsvertragliche Regelung nicht nur für die Dauer der (normativen) Anwendbarkeit der Betriebsvereinbarung verdrängt, sondern dauerhaft abgelöst wird und auch nach Entfall der Betriebsvereinbarung nicht wiederauflebt.
Rz. 113
Zu beachten ist aber, dass die geschilderte Rechtsprechung u.a. angesichts der möglichen Tragweite – potenziell könnten danach sämtliche Vereinbarungen der Vertragsparteien durch die Betriebsparteien abgeändert werden – insbesondere durch den 4. Senat des BAG stark kritisiert wurde. Der 4. Senat hat in seiner Entscheidung aus April 2018 in einem obiter dictum ausdrücklich eine von der Auffassung des 1. Senats abweichende Ansicht vertreten, dies zumindest mit Blick auf die konkludente Vereinbarung einer Betriebsvereinbarungsoffenheit. Nach Ansicht des 4. Senats könne von dem Vorbehalt einer ablösenden Betriebsvereinbarungsoffenheit nur ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber einen solchen Vorbehalt klar und verständlich zum Ausdruck gebracht hat. Der 5. und der 6. Senat wiederum haben sich der Ansicht des 1. Senats in Entscheidungen aus dem Jahr 2019 angeschlossen und sich hierin zum Teil auch mit der Argumentation des 4. Senats auseinandergesetzt. Es bleibt also abzuwarten, wie diese unterschiedlichen Sichtweisen der Senate des BAG letztlich harmonisiert bzw. entschieden werden.
Rz. 114
Aufgrund der divergierenden Auffassungen der BAG-Senate empfiehlt es sich, eine Öffnung ausdrücklich zu regeln. Der Mustervorschlag (Rdn 109) geht von der Situation aus, dass in dem Betrieb noch keine Betriebsvereinbarungen gelten. Entsprechend der beschriebenen BAG-Rechtsprechung handelt es sich zudem um eine globale Öffnung gegenüber Betriebsvereinbarungen und es wird ausdrücklich eine ablösende Wirkung geregelt. Denkbar wäre es aber auch, nur einzelne Vertragsbedingungen betriebsvereinbarungsoffen zu gestalten bzw. zu regeln, dass die jeweiligen vertraglichen Regeln nicht ersetzt, sondern nur so lange verdrängt werden wie die Betriebsvereinbarung gilt.
Rz. 115
Der Rechtsprechung des BAG ist zudem zu entnehmen, dass nicht nur lokale Betriebsvereinbarungen, sondern auch Gesamtbetriebsvereinbarungen und Konzernbetriebsvereinbarungen arbeitsvertragliche Regelungen ablösen können. Dies allein stünde einer Formulierung unter Bezug auf den bei Vertragsschluss vorgesehenen Einsatzbetrieb nicht entgegen. Allerdings könnten bei späteren Versetzungen in einen anderen Betrieb oder Betriebsänderungen Fragen nach der weiteren Anwendbarkeit der Regelung aufkommen. Es sollte daher neutral auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses abgestellt werden.