Dr. Julia Bettina Onderka, Dr. Michael Pießkalla
Rz. 88
Die meisten Mandanten gehen verständlicherweise davon aus, dass sie bei einem obsiegenden Urteil aufgrund der Erstattungspflicht des Gegners keine Gerichts- oder Anwaltskosten tragen müssen. Wird in Verkehrsunfallprozessen neben dem Fahrer bzw. Halter des unfallbeteiligten Fahrzeugs auch der Haftpflichtversicherer in Anspruch genommen, besteht jedoch ein Kostenrisiko, das der Anwalt des Beklagten bei der Mandatsübernahme beachten muss.
Rz. 89
Nach der Regelung in E.1.2.4 Muster-AKB 2015 hat der Versicherungsnehmer, wenn es zu einem Rechtsstreit kommt, die Führung des Rechtsstreits dem Versicherer zu überlassen. Er ist darüber hinaus verpflichtet, dem vom Versicherer bestellten Anwalt Vollmacht und jede verlangte Aufklärung zu geben. Für das gerichtliche Verfahren ist damit der Anwaltswahl des Versicherers der Vorrang gegenüber der des Versicherungsnehmers eingeräumt worden. Dies zwingt den Versicherungsnehmer zwar nicht, sich tatsächlich auch vom Anwalt des Versicherers vertreten zu lassen. Er kann sich trotzdem an einen Anwalt seines Vertrauens wenden. Auswirkungen hat diese Regelung jedoch dann, wenn es um die Erstattung der Anwaltskosten durch den unterlegenen Unfallgegner geht.
Rz. 90
Beispiel
Nach einem Verkehrsunfall erwirkt der Kläger einen Mahnbescheid. Dagegen legen Halter und Versicherer – jeweils durch eigene Anwälte – Widerspruch ein. Der Anwalt des Halters nimmt am Verfahren vor dem Amtsgericht teil, obwohl der Versicherer ihm mitteilt, dass er sich gegen die Klage verteidigen und einen Anwalt mit der gemeinsamen Prozessführung beauftragen werde. Nach kostenpflichtiger Abweisung der Klage stellt der Halter Kostenfestsetzungsantrag.
Rz. 91
Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 20.1.2004 ausgeführt, dass die Bestellung eines eigenen Anwalts durch den Versicherungsnehmer bei Geltendmachung des Direktanspruchs gegen den Haftpflichtversicherer und des Schadensersatzanspruchs gegen den Halter/Fahrer des versicherten Fahrzeugs in einem gemeinsamen Rechtsstreit dann nicht notwendig ist und die damit verursachten Kosten nicht erstattungsfähig sind, wenn kein besonderer sachlicher Grund für die Einschaltung eines eigenen Anwalts besteht. Der Versicherer, der nach den Vorschriften der AKB die Prozessführung übernehme, sei ein gewerbliches Unternehmen mit (oftmals) eigener Rechtsabteilung. Es sei daher davon auszugehen, dass sachkundige Mitarbeiter den Rechtsstreit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorbereiteten und den Anwalt entsprechend unterrichteten. Soweit der Versicherungsnehmer nicht ersichtlich ein über die Interessen des Versicherers hinausgehendes oder ihnen entgegenstehendes Prozessziel verfolge, sei die Beauftragung eines eigenen Anwalts nicht mehr erforderlich.
Rz. 92
Für das Vorliegen eines besonderen sachlichen Grundes, der eine persönliche zusätzliche Interessenvertretung rechtfertigen könnte, ist der beklagte Fahrer/Halter darlegungs- und beweispflichtig. Um nachträgliche Diskussionen mit dem Mandanten bzw. Auseinandersetzungen über die Honorarforderung zu vermeiden, empfiehlt sich bei Mandatserteilung eine Prüfung im Vorfeld:
1. Ist der Haftpflichtversicherer mitverklagt?
(–) → keine Besonderheiten bei der späteren Kostenerstattung
(+) → weiter mit Ziffer 2.
2. Hat der Versicherer von seinem Recht nach E.2.4 AKB 2008 Gebrauch gemacht oder wird er dies künftig tun?
(–) → der Anwalt kann den Fahrer/Halter allein vertreten
(+) → weiter mit Ziffer 3.
3. Gibt es einen konkreten Interessengegensatz zwischen Fahrer/Halter und Versicherer, der eine Vertretung durch einen eigenen Anwalt erforderlich macht?
(–) → die Kosten des eigenen Anwalts für Fahrer/Halter werden nicht als notwendig angesehen und sind daher vom Gegner nicht zu erstatten. Es empfiehlt sich ein Hinweis an den Mandanten, dass er die Honorarforderung im Innenverhältnis auch dann zu tragen hat, wenn die Klage gegen ihn abgewiesen wird.
(+) → die Kosten des eigenen Anwalts sind notwendig und erstattungsfähig.
Rz. 93
Die Rechtsprechung ist mit der Bejahung eines Interessenkonfliktes sehr zurückhaltend. Der Versicherungsnehmer darf nur dann einen Anwalt seiner Wahl beauftragen, wenn besondere Gründe vorliegen, die eine Vertretung durch den vom Versicherer gestellten Anwalt als unzumutbar erscheinen lassen. Der mögliche Regressanspruch des Versicherers im Innenverhältnis zum Fahrer/Halter, die Frage der Notwendigkeit oder Angemessenheit von Schadensersatzleistungen oder die mögliche Einstufung in eine ungünstigere Schadensfreiheitsklasse reichen dafür regelmäßig nicht aus. Das KG hat eine Interessenkollision verneint, wenn der Haftpflichtversicherer dem mitversicherten Fahrer als Streithelfer beigetreten ist und zwar auch dann, wenn sich der Fahrzeugführer gegen den Verdacht der Unfallmanipulation verteidigen will.
Dagegen dürfte ein Interessenkonflikt zu bejahen sein, wenn:
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der Fahrer/Halter eine Unfallschilderung abgibt, welche der vom Versicherer beauftragte Anwalt im Prozess nicht zugru... |