Dr. Julia Bettina Onderka, Dr. Michael Pießkalla
1. Allgemeines
Rz. 33
Nach § 9 RVG kann der Anwalt von seinem Auftraggeber für die entstandenen und die voraussichtlich entstehenden Gebühren und Auslagen einen angemessenen Vorschuss fordern. Für Ansprüche außerhalb des RVG (z.B. angeforderte Gerichtskosten, Zustellungskosten etc.) kann ein Vorschuss nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 675, 669 BGB) verlangt werden.
Rz. 34
Der Anspruch auf Vorschuss entsteht mit der Auftragserteilung und erlischt nach herrschender Meinung, wenn die Vergütung fällig ist und abgerechnet werden kann. Denn dann ist der Anwalt zum kostenrechtlichen Abschluss des Mandats verpflichtet.
2. Vergütungsvereinbarung
Rz. 35
Rechnet der Anwalt nicht nach den gesetzlichen Gebühren ab, sondern hat er eine Vergütungsvereinbarung abgeschlossen, so muss sich der Vorschussanspruch aus dieser Vereinbarung ergeben. Fehlt eine entsprechende Regelung, so ist zu prüfen, ob dadurch das Recht auf Anforderung eines Vorschusses ausgeschlossen wird. Dies kann man z.B. annehmen, wenn die Vergütungsvereinbarung feste Termine für Abschlags- oder Teilzahlungen vorsieht oder sich aus den sonstigen Umständen ergibt, dass der Mandant keinen Vorschuss leisten sollte.
Rz. 36
Beispiel
F und A schließen eine Vergütungsvereinbarung für die Regulierung eines Unfallschadens. In dieser ist bestimmt, dass A ein Pauschalhonorar erhält, welches er im Erfolgsfall von der erwarteten Schadensersatzleistung des gegnerischen Versicherers einbehalten darf.
Aus dieser Regelung ergibt sich nicht nur eine Leistungsbestimmung, sondern auch der konkludente Wille der Parteien, dass das Honorar des A erst nach Abschluss des Mandates, nämlich nach Auskehrung der betreffenden Summe durch den Versicherer gezahlt werden soll.
3. Schuldner
Rz. 37
Schuldner des Vorschusses ist der Auftraggeber oder ein Dritter, der kraft Gesetzes bzw. vertraglicher Vereinbarung unmittelbar gegenüber dem Anwalt für die Vergütungsforderung haftet. Damit scheidet der Rechtsschutzversicherer des Mandanten als Schuldner des Vorschusses aus, weil er nicht unmittelbar dem Anwalt, sondern nur dem Mandanten zur Übernahme von Anwaltskosten verpflichtet ist. Auch die Abtretung des Versicherungsanspruches des Mandanten gegen seinen Versicherer wird an den in den meisten Rechtsschutzversicherungsbedingungen enthaltenen Abtretungsverboten scheitern. Soweit der Rechtsschutzversicherer unmittelbar an den Anwalt leistet, tut er dies nach § 267 Abs. 1 S. 1 BGB als Dritter für den Mandanten. Wird nämlich vom Mandanten ein Vorschuss verlangt, so liegt darin eine Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers, die eine Freistellungspflicht des Versicherers auslöst. Alternativ zur Vorschussanforderung an den Mandanten kann der Anwalt, wenn er im Vorfeld bereits die Einstandspflicht des Rechtsschutzversicherers klären will, von diesem eine Kostendeckungszusage einholen.
Rz. 38
Hinweis
Der Anwalt sollte insbesondere in den Fällen, in denen im Hinblick auf das Unfallgeschehen der Risikoausschluss "Vorsatztat" (3.2.21 Muster-ARB 2019) eingreifen könnte, den Gebührenvorschuss im Namen des Mandanten vom Rechtsschutzversicherer anfordern. Im Falle einer Verurteilung kann der Versicherer nämlich diesen Vorschuss nicht von ihm zurückverlangen, sondern nur vom Versicherungsnehmer.
Rz. 39
Für eine Vorschussanforderung beim Rechtsschutzversicherer spricht auch noch ein weiteres Argument, das in der späteren Abwicklung des Mandats relevant werden kann. Der Rechtsschutzversicherer ist nicht mehr zur Zahlung verpflichtet, sobald der Gegner aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung die Kosten tragen muss (3.3.7 Muster-ARB 2019). Deshalb leisten Versicherer nach erfolgreichem Prozessabschluss keine Zahlungen mehr, bis nicht feststeht, dass der Gegner die Kostenerstattung verweigert. Diese Verzögerung kann man mit einer rechtzeitigen Vorschussanforderung vermeiden.
Rz. 40
Vorsicht ist allerdings geboten, wenn der Rechtsschutzversicherer den Vorschuss an den Anwalt unter dem Vorbehalt späterer Rückforderung zahlt. Dies ist zwar im Hinblick auf den gesetzlichen Vorschussanspruch unzulässig. Ohne Widerspruch des Anwalts wird in dieser Vorgehensweise jedoch teilweise eine stillschweigende Vereinbarung zwischen Anwalt und Versicherer gesehen, die den Anwalt verpflichtet, eventuelle Überzahlungen zu erstatten.
Rz. 41
Hinweis
Soweit Vorschusszahlungen vom Rechtsschutzversicherer unter Vorbehalt geleistet werden, sollte der Anwalt unverzüglich im Namen seines Mandanten widersprechen und den Versicherer zur vorbehaltlosen Leistung auffordern.
4. Höhe
Rz. 42
Die Höhe der Vorschussforderung richtet sich nach den entstandenen und voraussichtlich entstehenden Gebühren und Auslagen für die Bearbeitung des Mandats. Insofern ist eine Prognose über den voraussichtlichen Verlauf des Mandats erforderlich.