I. Allgemeines
Rz. 16
Im Rahmen der Auslegung eines Ehegattentestaments findet, anders als beim Einzeltestament, § 157 BGB Anwendung. Das heißt, dass eine Ehegattenverfügung auch aus der Sicht des Empfängers zu beurteilen ist, während beim Einzeltestament der Wille ausschließlich aus Sicht des Testierenden maßgeblich ist. Nach Ansicht des BGH ist daher die Auslegung auch dahingehend zu prüfen, ob sie mit dem Willen des anderen Ehegatten übereinstimmt. Für die Feststellung des übereinstimmenden Willens ist der Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen maßgebend.
II. Die Problematik von Wechselbezüglichkeit und Bindungswirkung
Rz. 17
Häufig problematisch bei der Auslegung von Ehegattentestamenten ist die Frage der Wechselbezüglichkeit bzw. der Bindungswirkung der gemeinsamen Verfügungen. Nach § 2270 Abs. 3 BGB können neben der Erbeinsetzung das Vermächtnis und die Auflage wechselbezüglich sein. In der Regel wird bei einem "Laientestament", bei dem der Erblasser keine juristische Beratung eingeholt hat, keine Regelung hinsichtlich einer solchen Wechselbezüglichkeit getroffen sein. Soweit das Testament keine Aussage trifft, ist für die oben genannten Verfügungen einzeln durch Auslegung zu ermitteln, ob diese wechselbezüglich und damit bindend sein sollen. Kommt man bei der Beurteilung des Einzelfalls zu keinem Ergebnis, dann ist die gesetzliche Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB anzuwenden. Danach ist eine Bindungswirkung anzunehmen, wenn ein Ehegatte dem anderen eine Zuwendung macht und für den Fall des Überlebens (Schlusserbfolge) eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem erstversterbenden Ehegatten verwandt ist oder ihm nahesteht, wobei die Definition des Begriffes "Nahestehen" eng zu fassen ist. Die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ist auch dann anzuwenden, wenn die Verfügungen von Todes wegen zeitversetzt errichtet wurden, die Auslegung selbst jedoch ergibt, dass die Eheleute ein gemeinsames Testament errichten wollten.
Rz. 18
Kopflastiges Vermögen bei nur einem Ehegatten bietet dagegen Anlass zur Prüfung, ob sich der vermögende Ehegatte überhaupt einer Bindung unterwerfen wollte. Gegen Wechselbezüglichkeit spricht eine Freistellungsklausel des überlebenden Ehegatten, wenn er berechtigt ist, einen anderen Schlusserben einzusetzen. Gleiches gilt, wenn die testierenden Ehegatten mit den Schlusserben nicht verwandt sind. Widerruft ein Ehegatte seine Verfügung von Todes wegen, kann grundsätzlich aber nicht von einem Aufrechterhaltungswillen des anderen Ehepartners ausgegangen werden.
Rz. 19
Neben der Frage der Wechselbezüglichkeit kann sich auch generell das Problem stellen, ob überhaupt ein gemeinschaftliches Testament errichtet werden sollte. Haben die Ehegatten ihre Verfügungen in einer gemeinsamen Urkunde errichtet, so ergibt sich hieraus in der Regel der Wille, gemeinschaftlich zu handeln. Für den Fall, dass die Eheleute in getrennten Urkunden mit gleichem Wortlaut testiert haben oder zeitlich versetzt, muss der gemeinschaftliche Wille durch Auslegung ermittelt werden.
III. Auslegung im Falle der Scheidung
Rz. 20
Auch im Rahmen des Ehegattentestaments spielt die Frage der Ehescheidung eine bedeutende Rolle. So ist über § 2268 Abs. 1 BGB der § 2077 Abs. 1 BGB auf alle in dem gemeinschaftlichen Testament errichteten Verfügungen anzuwenden. Hinzu kommt ein möglicher Aufrechterhaltungswille nach § 2268 Abs. 2 BGB, soweit nicht wechselbezügliche Verfügungen betroffen sind.