Rz. 2

Das Reichshaftpflichtgesetz (RHG) vom 7.6.1871 (RGBl S. 207), das erstmals eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung begründete, wurde zunächst inhaltlich geändert (Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften v. 16.8.1977 – BGBl I, S. 1577) und schließlich unter der Bezeichnung "Haftpflichtgesetz" (HaftpflG) neu gefasst und bekannt gemacht (BGBl 1978 I, S. 145). Die Neufassung gilt ab 1.1.1978. Es erfolgte eine Verschmelzung des RHG mit dem Gesetz über die Haftpflicht der Eisenbahnen und Straßenbahnen für Sachschäden (SHG), das dadurch außer Kraft trat (Art. 8 des Gesetzes v. 16.8.1977). Durch das 2. Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.7.2002 (BGBl I, 2674) ist die geltende Fassung des Haftpflichtgesetzes hergestellt worden. Seit dem 29.7.2009 gilt in Deutschland gemäß dem Gesetz zur Anpassung eisenbahnrechtlicher Vorschriften an die Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 vom 23.10.2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (BGBl I, 1146) für Bahnreisende ein Europa-einheitlicher Unfallschutz nach den Vorschriften der CIV (Anhang A zum Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr; BGBl II, 2002, 2149; vorstehend auszugsweise abgedruckt). Die Bahnhaftung ist nunmehr gleichsam in eine Innenhaftung (für Fahrgäste) und eine Außenhaftung (für übrige Betroffene) aufgespalten.[1] Zu den Besonderheiten der Haftung nach dem CIV wird unter Rdn 56 ff. ausgeführt und an jeweils passender Stelle darauf hingewiesen. Ohnehin gilt für Fahrgäste das Meistbegünstigungsprinzip. Sofern ihnen das HaftpflG weitergehenden Schadensersatz als nach den CIV gewährt, gilt dieses auch für sie (Art. 11 der VO Nr. 1371/2007).

 

Rz. 3

§ 1 HaftpflG begründet eine Gefährdungshaftung. Der Begriff der Gefährdungshaftung bedeutet, dass im Rahmen der unerlaubten Handlung, um die es sich auch hier handelt, an die Stelle des Tatbestandsmerkmals des Verschuldens das Tatbestandsmerkmal des Betriebsunfalls tritt. Wer eine gesetzlich umschriebene – an sich erlaubte – Gefahrenquelle eröffnet, muss als Preis für deren schädliche Folgen einstehen.[2] Esser erklärt den Unterschied der Gefährdungshaftung zur Deliktshaftung so, dass es sich bei der Deliktshaftung um das Einstehen für ein Unrecht, bei der Gefährdungshaftung um die gerechte Verteilung von Unglücksschäden handelt.[3] Der notwendige mehr oder weniger enge innere Zusammenhang zwischen dem gefährlichen Betrieb und dem eingetretenen Schaden rechtfertigt die Auferlegung der Haftung auf den Unternehmer, auch wenn ihn kein Verschulden im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches trifft.[4] Die historische Entwicklung beruht im Wesentlichen darauf, dass der Gesetzgeber bei Auftreten neuer besonderer Gefahren, wie sie infolge der technischen Entwicklung entstehen, in fortschreitendem Maß Gesetze auf der Grundlage der Gefährdungshaftung geschaffen hat, um die Opfer der neuen Gefahren über den Rahmen des BGB hinaus durch eine Risikoüberwälzung vor Schäden zu schützen. Diese Entwicklung spielte insbesondere beim Wasserhaushaltsgesetz (Verursachungshaftung), beim Atomgesetz und beim Umwelthaftungsgesetz eine maßgebliche Rolle und wird auch in der Neufassung des HaftpflG deutlich. Gefährdungstatbestände werden jetzt nicht mehr allein im Zusammenhang mit Elektrizität und Gasen gesehen, sondern auch dann, wenn es sich um Dämpfe oder Flüssigkeiten handelt (§ 2 HaftpflG; vgl. dazu näher § 3 B).

Demgegenüber begründen die Art. 26 und 33 CIV eine Verschuldenshaftung des Bahnbeförderers gegenüber Fahrgästen, bei der das Verschulden des Beförderers vermutet wird (siehe dazu näher: Rdn 56 ff.).

[1] Vgl. Filthaut, NZV 2009, 417, 418.
[3] Esser, Grundlage und Entwicklung der Gefährdungshaftung, S. 78; Deutsch, VersR 1971, 1.
[4] BGH, Urt. v. 27.1.1981 – VI ZR 204/79, BGHZ 79, 259.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge