Gundolf Rüge, Dr. iur. Holger Fahl
Rz. 79
Die Anlagenhaftung nach § 2 Abs. 1 S. 1 HaftpflG setzt voraus, dass – zumindest auch – durch die Wirkungen von Elektrizität, Gasen, Dämpfen oder Flüssigkeiten, die von der Anlage ausgehen, ein Körper-, Gesundheits- oder Sachschaden entsteht. Die Haftung erfordert mithin einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen diesen Wirkungen und der Schadenszufügung. Das bedingt einen Zusammenhang mit der Funktion der Anlage, nämlich dem konzentrierten Transport oder der Abgabe von Energien oder bestimmten Stoffen. Dies muss die entscheidende Ursache für die Schadensentstehung sein, denn gerade wegen der mit diesen Funktionen verbundenen typischen Gefahren hat der Gesetzgeber die strenge Haftung nach § 2 Abs. 1 S. 1 HaftpflG eingeführt. Es muss sich also das in diesen Funktionen typischerweise angelegte Schadensrisiko verwirklichen. Folglich beginnt die Wirkungshaftung mit der Fertigstellung bzw. – auch probeweisen – Inbetriebnahme der Leitungsanlage und endet mit der endgültigen Betriebsaufgabe.
Rz. 80
Andere Wirkungen, die nicht durch die Leitung oder Abgabe der Energie und Stoffe entstehen, lösen die Haftung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 HaftpflG nicht aus. Nicht ersatzfähig sind deshalb Schäden, die nur in einem äußeren, nicht aber funktionalen Zusammenhang mit der Anlage stehen und beispielsweise in der Beschaffenheit des Stoffes ihre entscheidende Ursache haben, oder solche, die gerade nicht Folge der Leitung oder Abgabe der Energien oder Stoffe sind, sondern auf dem Ausbleiben dieser Funktionen beruhen, etwa weil die Zufuhr von Strom, Gas, Dämpfen oder Flüssigkeiten nicht mehr erfolgt oder unterbrochen wird.
Rz. 81
Für die Wirkungshaftung unerheblich ist, ob die betreffende Anlage zum Zeitpunkt der Schadensverursachung ordnungsgemäß oder defekt war. Es besteht insoweit keine gesetzliche Beschränkung; lediglich die Haftungshöchstgrenzen der §§ 9 und 10 HaftpflG sind zu beachten.
Rz. 82
Beispiele für die Wirkungshaftung sind nach Rechtsprechung und Schrifttum: Gesundheitsschäden durch Berührung Strom führender Leitungen, Brandschäden durch Kurzschluss oder Funkenflug Strom führender Leitungen, Sachschäden durch Herabfallen einer Strom führenden Stromleitung, Beschädigung von Energieverbrauchsgeräten durch Stromstöße, Beschädigung oder Vergiftung durch ausströmendes Gas, Schäden durch explodierendes Gas, leitungswasserbedingt angehobene Kanaldeckel, und durch auslaufendes Öl.
Rz. 83
Bei Überschwemmungsschäden, die deswegen entstehen, weil das Regenwasser starker Niederschläge durch die Kanalisationsanlage nicht ausreichend abgeführt werden kann, kommt es auf die Unterscheidung an, ob das Regenwasser erst gar nicht in die Kanalisation hineingelangt, sondern ungefasst in die anliegenden Häuser eindringt, oder ob es aus der überlasteten Anlage wieder austritt. Im ersten Fall greift die Wirkungshaftung nicht, weil das Wasser nicht von der Anlage ausgeht und kein anderer Zustand besteht, als wenn überhaupt keine Leitung verlegt worden wäre; auch bei verstopften oder sonst funktionsuntüchtigen Leitungen tritt deswegen die Wirkungshaftung nicht ein. Im zweiten Fall verwirklicht sich hingegen die typische Betriebsgefahr, die mit dem konzentrierten Transport des Wassers in der Rohrleitung verbunden ist, so dass die Wirkungshaftung ausgelöst wird.
Rz. 84
Auf Rückstauschäden, das heißt auf Schäden, die im Haus eines an eine gemeindliche Kanalisationsanlage angeschlossenen Benutzers infolge eines Rückstaus dadurch entstehen, dass Wasser durch die Kanalisationsanlage ins Gebäude eindringt, erstreckt sich die Gefährdungshaftung gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 HaftpflG nicht.