1. Allgemeines
Rz. 90
Der Gesetzgeber hatte bis 31.12.1996 Haftungsbeschränkungen in den §§ 636, 637 RVO normiert. Diese sind seit 1.1.1997 durch das SGB VII abgelöst worden, das im Wesentlichen das System der Haftungsbeschränkungen nach §§ 636, 637 RVO übernommen hat, teilweise aber auch Haftungsbeschränkungen erweitert hat.
Rz. 91
Beachte
Es ist für die Praxis unverzichtbar, den Inhalt der einschlägigen Normen zu kennen, weil gerade wegen der teilweise erweiterten Haftungsbeschränkungen des SGB VII von Haftpflichtversicherern vermehrt der Einwand eines Haftungsausschlusses erfolgt.
Rz. 92
Für die Zeit bis 31.12.1996 gilt noch die Vorschrift der RVO, weshalb diese Gesetzeslage nachstehend noch kurz dargestellt werden soll.
Rz. 93
Die bis 31.12.1996 in den §§ 636, 637 RVO und ab 1.1.1997 im SGB VII normierten gesetzlichen Haftungsbeschränkungen wurden zur Ersetzung der Haftpflicht des Arbeitgebers seinen Mitarbeitern gegenüber eingeführt, sofern diese im Betrieb einen Unfall erlitten.
Rz. 94
Um die sich aus dieser Situation ergebenden Streitigkeiten innerhalb des Betriebes im Interesse der Erhaltung des Betriebsfriedens zu vermeiden, schlossen sich die Arbeitgeber zu Berufsgenossenschaften zusammen. In diese Genossenschaften sollten die beigetretenen Arbeitgeber Beiträge abführen, aus denen die soziale Existenz der Opfer eines Arbeitsunfalls im Betrieb eines der Genossenschaftsmitglieder gesichert werden sollte. Als Gegenleistung für diese ausschließlich von den Arbeitgebern finanzierte soziale Absicherung im Falle eines Arbeitsunfalls sah es der Gesetzgeber als gerechtfertigt an, dass das Unfallopfer im Gegenzug auf mögliche direkte Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger, sei es der Arbeitgeber, sei es der Arbeitskollege, verzichtet.
2. Rechtslage nach der RVO
Rz. 95
Entsprechend wurde in den §§ 636, 637 RVO geregelt, dass ein Unternehmer oder ein sonstiger Betriebsangehöriger bei einem Arbeitsunfall nicht für die Personenschäden haften sollte, die ein Mitarbeiter des gleichen Betriebes hierdurch erleidet.
a) Versicherte Personen
Rz. 96
Wer über die gesetzliche Unfallversicherung versichert war, richtete sich bei der alten Gesetzeslage nach §§ 539, 540, 543–545 RVO. Von besonderer Bedeutung und Praxisrelevanz war dabei die Vorschrift des § 539 Abs. 2 RVO. Danach waren gegen Arbeitsunfall auch Personen versichert, die wie ein nach Abs. 1 Versicherter (also wie ein normaler Arbeitnehmer des Unternehmers) tätig wurden; dies galt auch bei nur vorübergehender Tätigkeit. In der Vergangenheit ist hier sehr viel über die Frage gestritten worden, wann eine Eingliederung in den Betrieb des Unternehmers vorlag mit der Folge der Haftungsbeschränkung der §§ 636, 637 RVO.
Rz. 97
Die Rechtsprechung knüpfte dies im Wesentlichen an folgende Voraussetzungen:
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Der Geschädigte musste eine ernstliche, dem in Betracht kommenden Unternehmen dienende Tätigkeit verrichten. |
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Diese Tätigkeit musste dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechen und |
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ihrer Art nach auch von Personen verrichtet werden können, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt offenstehenden Beschäftigungsverhältnis stehen. |
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Sie musste ferner unter solchen Umständen geleistet werden, wie sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist. |
Wann diese Voraussetzungen im Einzelnen gegeben waren, war jeweils Tatfrage und für alle Prozessbeteiligten nur schwer vorhersehbar.
b) Umfang des Haftungsausschlusses
Rz. 98
Erlitt demnach ein Arbeitnehmer oder ein in den Betrieb des Unternehmens eingegliederter Beschäftigter einen Arbeitsunfall durch das Verschulden des Unternehmers oder eines Arbeitskollegen, bestand nur bei Sachschäden, bei vorsätzlicher Herbeiführung des Arbeitsunfalls oder bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr für den Geschädigten die Möglichkeit, seine Schadensersatzansprüche gegenüber dem Schädiger selbst durchzusetzen. Die Frage, wann eine Teilnahme am allgemeinen Verkehr vorlag, war immer wieder Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen.
Rz. 99
Wann eine Teilnahme am allgemeinen Verkehr vorlag, hing davon ab, ob der Verletzte den Unfall als normaler Verkehrsteilnehmer oder als Betriebsangehöriger erlitten hat (BGH VersR 1973, 736; ebenso von Gerlach, Die Rechtsprechung des BGH zum Haftpflichtrecht 1995, DAR 1996, 207). Entscheidend sollte dabei sein, ob sich in dem Unfall das betriebliche Verhältnis zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten manifestiert oder ob insoweit zu dienstlichen bzw. betrieblichen Beziehungen zwischen beiden kein oder ein nur loser Zusammenhang bestanden hat.
Beispiel
Die Hin- und Rückfahrt eines Betriebsangehörigen zu und von seiner Arbeitsstätte ist grundsätzlich Sache des Arbeitnehmers selbst und nicht die des Betriebes (BGH NJW 1981, 869). Erlitt ein Betriebsangehöriger auf einer solchen Fahrt einen Unfall, handelte es sich um eine Teilnahme am allgemeinen Verkehr. Dies hatte zur Folge, dass er einerseits Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Wegeunfalls (§ 550 RVO) erhielt, andererseits seine Schadenersatzansprüche gegen den Schädiger zusätzlich gel...